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das etwas Befriedigtes und Beruhigtes hatte, trat auf ihre Lippen. Hätten sich die Gedanken der Einsamen zum Selbstgespräch formiert, so würde sie gesagt haben: „Mein Herr Hammer, Sie haben entweder keine Augen oder einen eigentümlichen Geschmack; so vollständig, als Sie es gethan haben, darf man mich Fräulein Martha gegenüber doch nicht ignorieren, und ich sollte Sie eigentlich dafür bestrafen, daß Sie mich lediglich als eine Respektsperson behandelt haben — hübsche Frauen können das am allerwenigsten vertragen, was Sie ohne Zweifel ganz genau wissen. Wir werden aber doch lieber Gnade für Recht ergehen lassen; ich mag mich nicht zwischen Sie und unsere gute Martha drängen und dann — man könnte bei der Geschichte den Kürzeren ziehen und aus dem anregenden Spiel könnte ein bitterer Ernst werden. Gerade weil Männer wie Sie für Frauen eines bestimmten Alters so gefährlich sind, geht ihnen eine kluge Frau möglichst weit aus dem Wege, wenn sie nicht etwa gewillt ist, „alles an alles“ zu setzen, wie Ihre stolze Phrase lautet. Und dazu habe ich nun eben keine Lust, auch Ihnen gegenüber nicht, mein Herr: man riskiert zu viel dabei. Der Gedanke, diesen eigensinnigen Trotzkopf demütig zu machen, ist freilich verlockend, und ich könnte auf diesen Triumph stolz sein, denn Sie haben Charakter, und während Sie auf der einen Seite ein ganzer Mann sind, haben Sie auf der anderen die Fähigkeit, sich in eine Frauenseele zu versetzen. Es würde sich also der Mühe lohnen, eine Thorheit ihretwegen zu begehen, aber — wir werden es doch lieber bleiben lassen. Haben Sie auch heute nur gespielt — man weiß, was in diesem sanguinisch- melancholischen Menschen mit den gefährlichen Augen steckt, und daß sie nicht ruhen und rasten, bis sie die Frauenseele, in die sie, halb bittend, halb gebieterisch sich eindrängen, völlig unterjocht haben.

Und Martha? Sie war, nachdem Wolfgang sich verabschiedet hatte, vielleicht noch schweigsamer als gewöhnlich geworden und hatte, als Frau v. Larisch und Emmy ihr günstiges Urteil über den jungen Mann abgaben, kein Wort dazu gesagt. Sie sehnte sich nach Alleinsein und atmete tief auf, als sie endlich in ihrem Zimmer allein war und alle Fesseln konventioneller Rücksichten von sich werfen konnte. Sie zog einen Stuhl ans Fenster und blickte, das Kinn mit der Hand stützend, hinaus in die Nacht und empor zu den Sternen, deren unruhiges Flimmern und Glitzern wieder aufhob, was der Ausblick zum Firmament Erhebendes, Beschwichtigendes und Tröstendes hatte. Sie hatte von jeher das eigentümliche Talent entwickelt, inmitten des banalsten Zeitungsgeschwätzes die Stellen aufzufinden, die einen schönen Gedanken enthielten und über die Tausende hinweglasen, und so war einst beim Ueberfliegen einer der gewöhnlichsten Modejournalnovellen ihr Blick an einer Strophe haften geblieben, die ihr jetzt wieder einfiel und die sie ganz leise und traurig sich selber vorsprach, wie eine Prophezeiung, wie ein Urteil beinahe.

Ihr Empfinden war so rein und ungemischt und so wunsch- und hoffnungslos, daß sie keinen Grund hatte, es sich nicht einzugestehen.

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_45.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)