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Ohren hatten auch ein paar Worte über dieses schnurrbärtigen Herrn Hammer Dichtertum aufgeschnappt, und wenn sie sich auch hütete, ein Wort darüber zu sagen, machte ihr diese Kenntnis doch Vergnügen, ja sie ertappte sich sogar auf dem Wunsche, an ihrem Geburtstage, der Ende Mai fiel, also gar nicht mehr so fern war, eine anonyme Probe seines Talents zu erhalten: Dichter hatten ja nach ihrer Meinung in dieser Beziehung ein Vorrecht; sie durften jeder schönen Dame derartige zarte Huldigungen darbringen und es war dies sogar so allgemeiner Brauch bei ihnen, daß sie ein Recht haben würde, diesem interessanten Herrn Hammer heimlich eine beklagenswerte Kurzsichtigkeit und einen strafbaren Mangel an schuldiger Bewunderung ihrer doch nicht zu bezweifelnden Schönheit vorzuwerfen, wenn sie kein Gedicht von ihm bekam. Er hatte ihr gefallen, wie andere schlanke, junge Männer auch, und sie gestand sich mit einem leichten Erröten, das ihr allerliebst stand, daß er in einer Husarenuniform und an der Spitze einer Schwadron sehr, aber auch sehr gut aussehen müsse; sie mußte doch einmal versuchen, ihn in seiner Feuerwehruniform zu sehen. Wenn auch der Helm, die von der Hüfte zur Schulter getragenen Leinen und das kurze Beil ein schlechter Ersatz für die Pelzmütze mit dem heraushängenden Sammetsack, die zierliche Verschnürung und den klirrenden Säbel waren. Noch durch die Verwirrung der Gedanken hindurch, die dem Einschlafen vorausgeht, besann sie sich wieder auf den Geburtstag und dachte sehr befriedigt: „Diesmal werden es also Originalverse sein — Papa hat doch einen guten Einfall gehabt, den Herrn Hammer zu engagieren.“ Man hatte ihr ja auch das vorige Mal anonyme Verse geschickt, aber einige davon waren so schlecht gewesen, daß sie sich eher beleidigt als geehrt fühlte, und die Freude über die anderen, die sie sehr hübsch, ja sogar rührend fand, hatte auch nicht lange gedauert — sie hatte nämlich die unliebsame Entdeckung machen müssen, daß sie aus einer „Blüten und Perlen“ betitelten Anthologie einfach abgeschrieben waren, und diese Wahrnehmung erfüllte sie mit einer bedenklichen Gleichgültigkeit gegen die zierlichen Verse, und sie ärgerte sich, gemeint zu haben, daß dieselben sie mit großer Treue schilderten und an keine andere Ballschönheit gerichtet werden könnten. Passierte ihr das diesmal wieder, so wollte sie aber auch allen den Herren, die überhaupt in Verdacht kommen konnten, mit sehr ironischer Betonung sagen, daß unter den abgeschriebenen Versen, mit denen man sie heimgesucht habe, auch ein sehr schönes Originalgedicht gewesen sei; die Herren sollten doch erfahren, daß Fräulein Emmy Reischach in der modernen Lyrik ebenso bewandert sei, als irgend eine andere wohlerzogene junge Dame, und sie sollten einsehen lernen, daß sie Anspruch auf Originalgedichte habe und daß man von anderer Seite diesen wohlberechtigten Anspruch auch anzuerkennen wisse.

Frau v. Larisch verfiel, als sie sich allein sah, in ein Nachdenken, das bei ihr nicht allzu häufig war und auch nicht allzu lange währte, dann trat sie langsam und mechanisch vor den Spiegel, und ein Lächeln,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_44.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)