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zu machte auch Martha mit ihrer ruhigen, weichen Stimme eine Bemerkung. Wolfgang nahm dieselben meist schweigend hin, aber es freute ihn, daß er sich stets in voller Uebereinstimmung mit ihr befand; was sie sagte, war klug und mild, und man fühlte, daß sie nichts Angelerntes wiedergab, sondern die Ergebnisse eigenen Nachdenkens aussprach, nicht ohne dabei anfänglich mit einer gewissen Zaghaftigkeit und Scheu zu kämpfen, die sich erst nach und nach verlor und einer bescheidenen Sicherheit Platz machte. Und einige Male hatte Wolfgang auch wieder die Freude, dem unbewußten Augenaufschlag und dem beinahe erwartungsvollen Blick zu begegnen, der diesem Mädchen eigen war und der von einer zugleich ungewöhnlichen und liebenswerten, zugleich rührenden und achtunggebietenden Natur zu erzählen schien. Die Zeit verging ihm merkwürdig rasch, und er empfand beinahe ein Bedauern, als er sich sagen mußte, es sei hohe Zeit geworden, sich zu empfehlen. Als er sich von Frau v. Larisch und Fräulein Emmy mit einer tadellosen Verbeugung verabschieden wollte, reichte ihm die erstere mit freimütigem Wohlwollen die Hand — er war ihr dankbar dafür, denn erhielt er dadurch nicht ein halbes Recht, seinerseits Martha die Hand zu reichen? Sie legte ohne Hast und ohne Staunen ihre kleine, kühle Hand mit den schlanken Fingern in die seine, als müsse es so sein; war sie denn nicht eine viel ältere Bekannte von ihm, als Frau v. Larisch, und hatte sie nicht ein viel begründeteres Anrecht auf diese Vertraulichkeit?

Wolfgang ging nicht direkt nach Hause. Er pflegte sich selber scherzend einen Nachtvogel zu nennen, für den mit dem Hereinbrechen der Nacht ein ganz anderes, erhöhtes Leben beginnt und der durch das Sonnenlicht geblendet, durch den Lärm des Tages geängstigt wird, während das Dunkel und die Stille sein eigentliches Element sind. Heute war es aber doch nicht bloß der Wunsch, die schöne, laue, sternenlose Frühlingsnacht und die fast atemlose Stille zu genießen, der ihn zu einem langen nächtlichen Spaziergang veranlaßte. Er war innerlich unruhig und sein gelassener, klarer Gleichmut litt darunter, daß er sich sagen mußte, seine Welt und die des Kommerzienrats seien durch eine hohe, stählerne Mauer unwiderruflich und unübersteiglich geschieden, während er doch unaufhörlich nur die beiden großen Augen sah, die so müde und traurig und doch auch wieder so ausdrucksvoll und strahlend sein konnten. Ihm war, als sei dieses alternden Mädchens Seele Dornröschens verzaubertes Schloß: alles darin schlief und nur die Turmspitzen und Zinnen überragten die Dornenhecke und mahnten an die schöne Welt hinter ihr, die des Weckers harrte. Sollte er vorübergehen und Dornröschen weiterschlummern lassen, er, der doch den Bann brechen konnte; sollte er selber um das märchenhafte Glück sich betrügen, weil — das arme Geschöpf reich war, weil sie im Hause seines Chefs lebte (oder vielleicht nur vegetierte, um schließlich an Mangel an Luft und Licht zu verwelken?), und weil man ihm unedle Motive unterschieben konnte, wenn er um die Neigung des Mädchens warb, das so erheblich älter war als er selber? Das schien ihm mit einemmal so feig, so unwürdig, so niedrig zu sein,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_41.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)