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„Es ist die Frage, ob ich Ihnen so lange Stand hielte, aber was würden sie erzielen, wenn ich Ihnen nicht entrinnen könnte? Sie würden alles in mir um und durcheinander werfen und eine greuliche Konfusion anrichten, ich würde melancholisch werden und hätte hinterher meine liebe Not, alles wieder zurecht zu rücken und in Ordnung zu bringen. Das passiert mir im Walde nicht, und auch die tausend Stimmen des wehenden Windes und der wogenden See, denen gegenüber mir die raffiniertesten Nachahmungsversuche Ihrer gefeiertsten Komponisten immer entschieden kindisch und ohnmächtig vorkommen, haben immer das ruhige Gleichgewicht meiner Seelenkräfte gestört. Ich werde es also wohl zeitlebens mit diesen Naturlauten und mit einer wohlklingenden menschlichen Stimme halten, die mit echtem Gefühl ein einfaches Volkslied singt und das — ich will es gern gestehen — thue auch ich zuweilen.“

„Der Herr Kommerzienrat hört gerade nicht her — das erlaubt mir, Ihnen zu sagen, daß Sie entweder in einer anderen Richtung Künstler sein müssen oder daß ich meinen Augen den Prozeß zu machen habe, da sie mir hartnäckig wiederholen, daß Ihr Gesicht ein echtes Künstlergesicht ist und daß Sie echte Künstleraugen haben. Sie zeichnen oder malen — habe ich es erraten?“

„Nein, obgleich ich mir diese Fertigkeit, wenn auch nur ganz für meinen Privatgebrauch, schon unzählige Male gewünscht habe, ebenso oft vielleicht, als ich meinen Bekannten, wenn sie sich ans Klavier setzten, erklärte: „Ihr hättet auch etwas Gescheiteres lernen können.“

„Nun, dann bleibt, da Sie doch schwerlich den Meißel führen werden, nur noch die eine Annahme, daß Sie ein Dichter sind und neben der Musik der Baumkronen auch noch die der Verse lieben und — üben. Und nun sagen Sie nicht wieder „Nein!“, sonst haben Sie mir ein Rätsel aufgegeben, dessen Lösung ich als unmöglich aufgeben müßte.“

Wolfgang zauderte einen Augenblick, dann erwiderte er rasch :

„Der Herr Kommerzienrat hört noch immer nicht her und Sie werden, hoffe ich, reinen Mund halten. Diesmal haben Sie richtig geraten, aber wenn Sie es nicht erraten hätten, würden Sie es wohl nie erfahren haben, denn auch meine poetische Anlage dient mir nur für den Privatgebrauch, und so wird es immer bleiben. Dabei ist keine Spur von Affektation, und das unbegreiflichste von allen unbegreiflichen Dingen ist für mich die Wut unserer kleinen Lyriker vorletzten und letzten Ranges, sich gedruckt zu sehen und wäre es auch nur im entlegensten Winkel der Sonntags-Unterhaltungsbeilage des heimatlichen Tageblättchens. Ich dränge meine Verse niemanden auf, ich verheimliche sie sogar und zwar nicht bloß deshalb, weil ich zufällig Kaufmann bin.“

„Ich gelobe feierlichst, keiner Seele auch nur ein Wort davon zu verraten,“ scherzte Frau v. Larisch, „und was Fräulein Hoyer anlangt, die, wie ich eben bemerke, sehr wider Willen Ohrenzeuge gewesen ist, so bürge ich für sie — sie war von je ein wahrer Ausbund von Verschwiegenheit, und bei ihr ist das große Geheimnis so sicher aufgehoben, daß Sie ruhig schlafen können.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_39.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)