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zu feierlichem Brausen, daß ich für den Genuß, die tausend Modulationen dieser weltewigen, ehrwürdigen Musik in mich aufzunehmen, willig und freudig alle Opern der civilisierten Welt dahingebe und für einen Vogelruf aus Buchenkronen alle Triller und Läufer der gefeiertsten Sängerinnen unserer Hofbühnen?“

Fräulein Emmy war über diese Aeußerungen ganz verdutzt, Frau v. Larisch aber erwiderte:

„Nun, das klingt ja ganz hübsch, ist aber doch paradox bis zum Exceß, und Sie werden doch nicht leugnen wollen, daß auch die Musik einen schönen Eindruck auf Sie macht? Sie werden mich wenigstens nie überzeugen, daß Sie ein Musikverächter sind, wenn ich Ihnen auch vielleicht zutraue, daß Sie kein Klavier in Ihrem Hause dulden würden, wie ich dies von einem sonst für alles Schöne ganz empfänglichen Professor in Berlin als thatsächlich verbürgen kann.“

„Ich würde nicht aufrichtig sein, wenn ich leugnen wollte, daß ich auch für Ihre Musik empfänglich sei. Ich bin es im Gegenteil vielleicht in zu hohem Grade, möglicherweise deshalb, weil ich der Musik keine abgehärteten und abgenutzten Nerven entgegenbringe. Sie wühlt sehr leicht und sehr rasch meine Seele in allen ihren Tiefen auf, aber es wird mir nicht wohl dabei, weil die begriffsmäßige Klarheit fehlt, weil ich nur Schatten erhalte, wo ich Gestalten verlange, weil ein unbestimmter und doch intensiver Nervenkitzel an die Stelle meines normalen Denkens und Fühlens tritt und mich völlig zu unterjochen strebt. Man hat vielleicht ein Recht, von einer Musikseuche und speciell von einer Klavierpest zu sprechen, die für unsere Zeit charakteristisch sind, und ich bin sehr geneigt, einen innigen Zusammenhang zwischen ihnen und der geistigen Verflachung unserer Tage und der beharrlichen Abkehr von den strengen, festumrissenen, auch für den Genuß die Mitthätigkeit des Geistes fordernden Schöpfungen der Poesie aufzusuchen. Besonders eine Thatsache spricht gegen die Musik und läßt es als eine Verirrung des Zeitgeschmacks erscheinen, daß ihr eine so große Geltung eingeräumt wird, die Thatsache, daß man unter den professionellen Musikern eine solche Ueberzahl von strohtrockenen, poesielosen, nüchternen und über die Maßen einseitigen Menschen findet. Und wollen Sie leugnen, daß zwischen dem Opfer an kostbarer Zeit, das man zu bringen hat, ehe man dazu gelangt, einer lustigen Gesellschaft ein paar Tänze oder ein seichtes Musikstück vorklimpern zu können und zwischen dem thatsächlichen Wert dieser Leistung ein so schreiendes Mißverhältnis besteht, daß es mindestens angezeigt wäre, dem Eindringen des Klaviers in jede einigermaßen gut situierte Familie einen Riegel vorzuschieben und die Erlernung dieser doch eben gar nicht leichten Kunst auf diejenigen zu beschränken, die ein hervorstechendes Talent entwickeln?“

„Es ist etwas wahres und richtiges an alledem, aber sie übertreiben entsetzlich, und ich möchte Sie einmal auf ein paar Stunden in meiner Gewalt haben, um das so schonungslos angegriffene Klavier gründlich an Ihnen rächen zu können.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_38.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)