Seite:Ein verlorener Posten 37.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

aus der Klemme, in der sich dieselbe befand, indem sie mit Wolfgang französisch zu plaudern begann; Emmy mischte sich zur größten Befriedigung des Kommerzienrats ab und zu mit einer gleichgültigen Bemerkung, einer banalen Phrase ins Gespräch, und man schien gar nicht daran zu denken, daß man Martha auf diese Weise ganz von der Unterhaltung ausschloß und es ihr überließ, ab und zu auf eine deutsche Bemerkung des Kommerzienrats zu antworten.

Hatte Wolfgang überhaupt etwas davon bemerkt, daß Martha zum Stillschweigen verurteilt war? Er ließ alle im Zweifel darüber, aber sobald Frau v. Larisch mit einer scherzenden Wendung die Muttersprache wieder in ihre Rechte eingesetzt hatte, wendete er sich an Martha, und es lag eine ganz leise, und nur für Frauenohren bemerkbare Nuance von Vertraulichkeit in seiner Stimme, als er sie fragte, ob das Gewächshaus die Maiblumen liefere, die auf dem Blumentisch dominierten, oder ob sie dieselben selber gezogen habe? Er konnte, wenn er Martha gesprächig machen wollte, keine glücklichere Frage thun; sie hatte die kleinen Zwiebeln ihrer erklärten Lieblingsblume im Herbst aus dem Walde mit heimgebracht und selber eingepflanzt, und sie war sehr erfreut, wenn auch gar nicht erstaunt, als Wolfgang ihr sagte, daß sie sich in dieser Liebhaberei begegneten; die zierliche, anmutige Form, die milchweiße Färbung und der eigentümliche leise Duft der Glöckchen, der so sehr an den Wald erinnere, machten ihm die kleine Blume vor allen lieb, und er freue sich auf die Zeit, in der sie in den Wäldern um die Stadt blühen werde. Damit war der Uebergangspunkt zu einem Geplauder über den Wald gefunden, und über diesen sprach er mit einer herzlichen Wärme, die seiner Versicherung, er bedaure immer noch, nicht Forstmann geworden zu sein, einen eigentümlichen, zwingenden Nachdruck verlieh. Fräulein Emmy konnte nun freilich nicht einsehen, daß der Wald so schön sei; ihr waren die großen schwarzen und roten nackten, fleischigen Schnecken zuwider, die ihre Schleimspur über die Wege ziehen, sie hatte einen unauslöschlichen Abscheu vor den übelriechenden grünen Baumwanzen, die man beim Suchen der Haselnüsse oft unversehens zerdrückt; sie fand es abscheulich, daß man den Angriffen der großen Waldameisen ausgesetzt ist, so oft man sich im Moose niedersetzt, und der Gedanke, einen heimtückischen Holzbock aufzulesen, konnte ihr das üppigste Heidelbeerkraut mit den schönsten Beeren für ewige Zeiten verleiden.

Wolfgang hörte sie lächelnd an und sagte dann:

„Ich bekenne mich ja gern dazu, daß meine Waldschwärmerei ihre angreifbaren Seiten hat, namentlich für Damen, die nicht mit Aufschlagstiefeln in den Wald gehen, aber da ich einmal so weit gegangen bin, will ich auch mit der allerärgsten Ketzerei nicht hinter dem Berge halten. Können Sie sich denken, daß ich für den musikalischen Genuß, im Walde zu liegen und stundenlang dem leisen Wehen und Flüstern und dem Rauschen zu lauschen, das oft nur wie ein unterdrückter Seufzer, wie eine scheue Klage durch die Stille geht, um dann wieder anzuschwellen

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_37.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)