Seite:Ein verlorener Posten 36.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

noch ein Musikinstrument erlernt statte; teils hatten die örtlichen Verhältnisse es nicht ausführbar erscheinen lassen, teils hatte ihr Vater sich ablehnend gegen allen Bildungsluxus verhalten, der bei der Erziehung junger Mädchen von eitlen Eltern getrieben werde — nie aber war die Trauer eine so bittere gewesen, als in dieser Stunde. Sie zagte davor, daß ihre Unwissenheit im Laufe der Unterhaltung zu Tage treten werde, und sie gab sich darüber, daß Emmy und Frau v. Larisch bemüht sein würden, dieses Gebrechen ihrer Bildung zu verschleiern, keinen Illusionen hin — sie wußte ungefähr, was in solchen Fällen eine Frau von der anderen zu erwarten hat.

In der That nahm die Unterhaltung sehr bald die von ihr erwartete und gefürchtete Wendung, aber es war der Kommerzienrat, der dieselbe herbeiführte.

Unwissende Eltern pflegen auf nichts so eingebildet zu sein, als auf die Kenntnisse ihrer Kinder, und wenn sie mit denselben Parade machen können, empfinden sie eine tiefe Befriedigung; der Kommerzienrat hatte eine sehr hohe Meinung von dem in der Pension erworbenen Englisch seines Töchterchens und beeilte sich, ihr seine mißfällige Verwunderung darüber auszusprechen, daß sie nicht die Gelegenheit benutze, mit Herrn Hammer englisch zu sprechen. Sie war von der Aufforderung nicht sonderlich erbaut, denn sie war sich sehr genau bewußt, daß es mit ihrem Englisch viel windiger aussah, als der Herr Papa ahnte, aber sie sagte sich, daß es nur darauf ankomme, so resolut als möglich darauf loszuschwatzen — vielleicht ließ sich Herr Hammer durch diese spielende Flüchtigkeit täuschen, und jedenfalls war er zu galant, den Vater aus seinem schönen Wahn zu reißen. In der That plauderte sie keck immerzu und würde ihren Zweck erreicht haben, wenn ihr das Verstehen der Antworten, die Wolfgang gab, nicht unübersteigliche Schwierigkeiten bereitet hätte — sie kam merklich ins Stocken, und der Kommerzienrat, dem nach und nach eine Ahnung von dem wirklichen Sachverhalt aufdämmerte, nahm Wolfgangs wohlwollende Erklärung, daß man längere Zeit in einem Lande gelebt haben müsse, ehe man dazu gelange, sich in einer Unterhaltung, die in der Sprache desselben geführt werde, zwanglos zu bewegen, ziemlich mißtrauisch auf. Es schwebte ihm die Frage auf den Lippen, wie es ihm denn möglich gewesen sei, in England fortzukommen, da er sein Englisch doch auch in Deutschland gelernt habe, aber er unterdrückte dieselbe; was gewann er, wenn er Herrn Hammer einer galanten Schönfärberei überführte? Statt einer unbequemen Vermutung eine sehr verdrießliche Gewißheit. Frau v. Larisch erbarmte sich ihrer jungen Freundin, indem sie bemerkte, sie habe aus der ganzen Unterhaltung nur das eine ersehen, daß diejenigen im Rechte sind, die behaupten, das Englische sei eigentlich gar keine Sprache, und eine Unterhaltung auf Englisch sei gleichbedeutend damit, daß zwei Menschen den Mund voll Wörter nehmen, dieselben eine gute Weile kauen und sie dann einander ins Gesicht sprudeln. Frau v. Larisch zog das Französische bei weitem vor, und sie befreite Emmy

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_36.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)