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die Anwesenheit des Landrats lähmend gewirkt hatte, Wolfgang ihrerseits ins Gespräch gezogen, und Herr Reischach vernahm schon im Vorzimmer seiner Tochter helle, fröhliche Stimme; er trat rasch ein, denn er fürchtete, die kleine Ausgelassene könne sich einen Scherz auf Kosten des Landrats erlauben. Es wäre nicht das erste Mal gewesen; die kleine übermütige Ballschönheit hatte den Herrn Papa schon manches liebe Mal veranlaßt, sich ängstlich umzusehen, ob nicht etwa jemand anwesend sei, durch dessen boshafte oder leichtsinnige Indiskretion diese unverzeihlichen Keckheiten an die falsche (oder eigentlich richtige) Adresse gelangen könnten; er erschrak unfehlbar im nächsten Moment über sich selber, so oft er nicht umhin gekonnt hatte, sich von seines Lieblings satirischer Heiterkeit anstecken zu lassen, und empfand wirkliche Gewissensbisse, wenn der Gegenstand dieser Heiterkeit sein verehrter Gönner, der Herr Landrat v. Wertowsky war, durch dessen Verwendung er das so lange vergebens ersehnte farbige Bändchen im Knopfloch endlich erlangt hatte. Fräulein Emmy richtete ihre kleinen, zierlich gefiederten, ironischen Pfeile gegen jeden, der nicht durch Jugend und Erscheinung das günstige Vorurteil erweckte, ein flotter Walzertänzer zu sein, und es wäre kein Wunder gewesen, wenn sie den Landrat zur Zielscheibe ihrer Ausgelassenheit gemacht hätte — hatte er sie doch dadurch gereizt, daß er sie so lange verhinderte, den Protégé der Frau v. Larisch ein wenig zu sondieren und sie nebenbei durch die Unterhaltung, in die er denselben verwickelte, aufs äußerste langweilte. Sie hatte wiederholt nur mit Mühe ein Gähnen unterdrückt; konnte es auch etwas Trockeneres geben, als eine Debatte über die Aussichten des Getreidebaues in Mitteleuropa, über den konsequenten Raubbau, der das Verschwinden des rumänischen Getreides aus dem Weltmarkt verschuldet, über die Chancen den Spatenkultur in der Umgebung größerer Städte, über die unverzeihliche Vernachlässigung des Obstbaues u. s. w.? Frau v. Larisch durfte natürlich gleichfalls keiner besonderen Sympathien für derartige Gesprächsstoffe geziehen werden, aber die Sicherheit und Schlagfertigkeit des jungen Mannes, dessen äußere Erscheinung ihr so gut gefallen hatte, gereichte ihr zu einer Art von persönlicher Genugtuung, und da sie nur sehr bedingungsweise die Vorliebe der meisten Frauen für die Don Juans teilte, so empfand sie ein gewisses und ihr eigentlich recht rätselhaftes Vergnügen bei dem Gedanken, daß ein junger Mann, der sich um solche Dinge ernstlich kümmerte, unmöglich Zeit gehabt haben könne, sich mit dem Studium der Frauen zu beschäftigen. Sie hörte aufmerksam zu und auch Martha that dies, obgleich ein oberflächlicher Beobachter hätte glauben können, sie nehme keinerlei Anteil an dieser Unterhaltung — so ausschließlich schien sie mit der feinen Handarbeit beschäftigt, auf die sie sich tief niederbeugte. Sie wurde nicht müde, dieser Stimme zu lauschen, die so ernst und doch so gut und herzlich klang, und in den geheimsten Falten ihrer Seele hätte sie die melancholische Frage entdecken können: „Warum muß er noch so jung, warum so hübsch sein oder warum bin ich nicht mehr jung und

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_34.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)