Seite:Ein verlorener Posten 33.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

bieten, die er berührte, wohlorientiert gefunden; unser Freund vermochte genaue, gründliche, ja erschöpfende Mitteilungen zu machen, und der Landrat konnte sich nebenbei überzeugen, daß der junge Mann auch auf den Gebieten zu Hause war, von denen er nichts verstand und die ihm fern lagen. Freilich hatte Wolfgang auch daraus kein Hehl gemacht, daß die preußische Strammheit durchaus nicht überall sein Ideal sei, der Landrat hatte auf die ziemlich zuversichtliche Frage, ob ihn der große Sieg von 70 nicht mit den allerdings schmerzlichen Verwickelungen von 66 ausgesöhnt hätte, eine mehr als reservierte Antwort erhalten, und auch zu den Bewunderern des Kulturkampfes schien Wolfgang keineswegs zu gehören; er vermied es freilich mit artiger Gewandtheit, sich auf eine Diskussion über diese Punkte einzulassen, so daß der Landrat sich in die Notwendigkeit versetzt sah, seinem patriotischen Eifer und seinen heftigen Sympathien und Antipathien Zügel anzulegen. Als der Landrat und seine Frau sich empfahlen und ersterer sich von Wolfgang mit einem herzhaften soldatischen Händedruck verabschiedete, empfand Herr Reischach eine große Erleichterung — es war ja augenscheinlich, daß die Anwesenheit seines „jungen Mannes“ ihm in den Augen des Landrats nicht geschadet hatte. Er geleitete seinen Besuch bis an die Thür und war, als er zurückkam, sehr geneigt, Wolfgang eine Abbitte zu thun: der Landrat hatte ihn auf die Achsel geklopft und sehr freundlich gesagt: „Sie haben da einen anscheinend recht intelligenten, kenntnisreichen und brauchbaren jungen Mann, den ich hoffentlich einmal wieder bei Ihnen sehe; er hat etwas sehr englische, radikale und subjektive Ansichten, aber dergleichen pflegt sich mit der Zeit zu legen und einer reiferen Anschauung Platz zu machen, namentlich wenn die Leute etwas Ehrgeiz haben und Carrière zu machen suchen. Ich weiß nicht, was Sie mit dem Herrn Hammer Vorhaben, aber ich sollte fast meinen, es lohne sich der Mühe, ihn hier auf irgend eine Art zu fesseln und ihn in die Kreise einzuführen, die ihm vielleicht bisher fremd geblieben sind; für einen so klugen Mann, wie der Herr Kommerzienrat es sind, wird es nicht schwierig sein, Mittel und Wege zu finden und dabei so vorsichtig zu Werke zu gehen, daß der junge Mann nicht etwa stutzig und kopfscheu wird; es ist alles daran gelegen, ihn auf eine feine und unverdächtige Art unmerklich aus seiner zu nichts Gutem führenden Isolierung herauszulocken; das weitere giebt sich dann von selbst, da der junge Mann kein Schwärmer und Fanatiker zu sein scheint — Kaufleute pflegen praktischen Sinn und praktischen Blick zu haben.“ Der Kommerzienrat fühlte sich durch das seinem Scharfsinn und seiner Gewandtheit von einem so einflußreichen Manne gespendete Lob nicht wenig geschmeichelt, und wenn ihm der Fall auch vorläufig noch etwas dunkel war, so hegte er doch keinen Zweifel darüber, daß ihm bei einigem Nachdenken ein helles Licht über des Landrats eigentliche Meinung aufgehen werde, und sehr befriedigt kehrte er in das Zimmer zurück, wo eben der Thee serviert worden war; der Landrat hatte so lange nicht bleiben können und die Einladung dankend ablehnen müssen. Inzwischen hatten die Damen, auf welche

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_33.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)