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stößt auf innere Hindernisse. Wäre die Dame eine Erzieherin oder Gesellschafterin und nur annähernd so arm wie ich, so würde ich mit dem Finger, den mir das Schicksal geboten hatte, nicht zufrieden gewesen sein, sondern versucht haben, mich der ganzen Hand zu bemächtigen. So aber ist sie die einzige Tochter des früheren Associés meines Herrn Kommerzienrats, ihr Vermögen, das recht bedeutend sein soll, steckt mit in der Fabrik und sie lebt seit dem Tode ihres Vaters im Reischachschen Hause. Das habe ich ohne Spionage auf dem allergeradesten Wege erfahren.

Am zweiten Tage nach jenem etwas „ländlichen“ Abenteuer fuhr die Dame in des Kommerzienrats Equipage an meiner Wohnung vorüber, und meine alte Wirtin, die natürlich hatte sehen müssen, wer vorüberkutschierte, fragte: „Sieht Fräulein Hoyer nicht noch recht gut aus?“ Sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, als ich ihr erwiderte, daß ich mich noch nicht um die Damen des Kommerzienrat bekümmert hätte, und daß sie mir gänzlich unbekannt seien; diese Lücke in meinem Wissen mußte unverzüglich ausgefüllt werden, und hätte ich den Strom ihrer Mitteilungslust nicht gedämmt, so würde ich wohl auch über die verschiedenen Partien, die Fräulein Martha gehabt, aber sämtlich zum Staunen der ganzen Stadt und zur sprachlosen Bestürzung der erfahrensten Matronen ausgeschlagen hat, die minutiösesten Details erfahren haben. Aber es kam mir ja nun auf diese nichts mehr an, denn, die Mitteilungen, die ich bereits erhalten, hatten merkwürdig ernüchternd und erkältend auf mich gewirkt. Ich werde nie zugeben, daß die Ungleichheit des Vermögens ernstlich in Frage kommen dürfe, wo zwei Menschen einander unentbehrlich geworden sind, und ich würde einem geliebten weiblichen Wesen nie die Schmach anthun, zu glauben, sie werde je im stande sein, aus dem mir zugebrachten Vermögen besondere Rechte herleiten oder mir gar die Thatsache vorwerfen zu wollen; ich würde sie, sorglos sogar, heiraten, nicht weil, sondern obgleich sie reich ist.

In diesem besonderen Fälle erhält aber die Sache sofort einen bedenklichen Beigeschmack, und die Gefahr, in ein häßliches Licht zu kommen, liegt so nahe, daß ich fühle, wie mir die heiße Röte der Scham und der Entrüstung in die Wangen steigt. Ich mag in keinerlei nähere Beziehungen zu diesem Kommerzienrat treten, mein innerstes Gefühl lehnt sich dagegen auf, mich an der rücksichtslosen Ausbeutung der armen Menschen zu beteiligen, die die Not zwingt, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und keine Lockung der Welt wird mich je vergessen machen, daß mein Platz nicht unter den Bedrückern, sondern an der Seite der Bedrückten ist. Es lohnt sich nicht, viel Worte darüber zu machen; Du fühlst mir nach, daß ich mit Notwendigkeit in eine schiefe, haltlose, an natürliche Stellung käme, und wer sich in eine solche um eines Frauenlächelns willen begiebt, wird mir nie verständlich sein.

Ich werde meine Abendspaziergänge künftighin nach anderen Punkten richten und die Parkpforte meiden, und dann ist alles, wie es

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_29.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)