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schon an der Thatsache, daß ein Herr der Schöpfung geruhe, sie liebenswert zu finden, ihre Neigung zu ihm hätte entzünden können; wenn sie zu viel Stolz und Charakter hatte, sich mit Leib und Seele einem Manne zu überliefern, für den sie nichts von jener süßen, seligen Leidenschaft zu empfinden vermochte, die nicht bloß in der Poesie existiert, — erhält sie dadurch nicht vollbegründeten Anspruch auf die Achtung jedes zartfühlenden Mannes? Es ist wohl keine leere Einbildung von mir, daß ein solches ältere Mädchen, das etwas erfahren und über die Welt, das Leben und sich selber nachgedacht hat, auch ganz anders, viel tiefer, hingebender, ernster und aufrichtiger lieben müsse, als eins von den rosigen Kindern, in deren Köpfchen die Welt sich ganz absonderlich spiegelt und die für einen ernsthaften Mann nicht mehr sein können, als ein amüsantes Spielzeug.

Es ist dies einer von den Punkten, über die ich förmlich beredsam werden kann, aber Du möchtest über den Eifer, mit dem ich diese Lieblings-„Marotte“ verfechte, gähnen, und es ist noch dazu sehr unwahrscheinlich, daß der vorliegende Fall mir Gelegenheit geben wird, meine Theorie in die Praxis zu übersetzen. Wohl ließ sich alles ganz romantisch an, und ich werde ein wenig rot bei dem Gedanken an die kleine Scene, die ich bei meinem Nachhausekommen aufführte. In der Seitentasche meines Ueberrocks fand ich nämlich den rehbraunen, zerscheuerten Handschuh, den ich mechanisch eingesteckt hatte; es war freilich nur vergessen worden, ihn zurückzufordern, wie ich vergessen hatte, ihn zurückzugeben, aber ich war doch wohl halb und halb berechtigt, ihn als Andenken zu behalten, und ich habe ihn lange ganz ernsthaft betrachtet und dann, über die eigene Thorheit lachend, den Versuch gemacht, ihn anzuziehen: es gelang sogar ganz prächtig, nur schließen ließ er sich nicht. Ich habe ihn dann vorsichtig wieder abgestreift und das letzte Fach meines Sekretärs herausgezogen, in dem allerlei Andenken an meine tolle 66er Zeit ziemlich wirr und wild durcheinander liegen; das verblichene, verkrauste Eichenreis, das ich am Morgen des Gefechts bei Trautenau mir als Feldzeichen brach, die Kugel, die ich am Abend in den Falten meines Mantels fand, die goldene Tapferkeitsmedaille, die mir dieser Tag, das Offiziers-Verdienstkreuz, das mir der von Königgrätz einbrachte (wenn der Herr Kommerzienrat wüßte, wie sorglos und nichtachtend ich mit diesen „Ehrenzeichen“ umgehe!), schob ich zur Seite und suchte mir den einst weiß gewesenen, blutbefleckten Handschuh heraus, durch den mich ein Ziethenhusar in die Linke hieb, um im nächsten Moment vom Pallasch eines Windischgrätz-Dragoners einen klaffenden Hieb in die Schulter des Schwertarms zu erhalten. Ich legte die beiden Handschuhe nebeneinander, fand an ihrer Vergleichung ein höchst absonderliches Vergnügen und packte sie dann zusammen in das Dekret über die Verleihung der Tapferkeitsmedaille, die mich damals so kindisch glücklich machte, — und da werden sie nun wohl lange — und hoffentlich in Frieden! — liegen, der weiße und der rehbraune. Denn siehst Du, die Geschichte ist, obgleich sie erst begonnen hat, so gut wie aus, d. h. sie

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_28.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)