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er hat mein Glück geschaffen, und daß Sie den Brief früher abgaben, als Sie durften, war der klügste Streich Ihres ganzen Lebens.“

„Und nun sollen Sie auch gleich den dümmsten erfahren: ich habe mich hier mit diesem eifersüchtigen, immer rußigen und als Mann wohl zuweilen recht brummigen Menschen verlobt, in der Hoffnung, daß er sich noch bessern wird; gutmütig ist er, man kann es also am Ende darauf ankommen lassen.“ Der herzliche Blick auf den zukünftigen Gatten, mit dem sie die neckenden Worte begleitete, strafte sie zur Genüge Lügen.

Man war vor dem Coupé stehen geblieben, Martha nahm die lebhaften Glückwünsche der kleinen Ueberglücklichen entgegen und erwiderte sie freundlich, und Wolfgang sagte ernst:

„Nun sind wir ganz quitt, meine kleine Anna; ich hoffe, Ihr Bräutigam wird Rücksicht darauf nehmen, daß wir einander doch näher stehen, und nicht scheel sehen, wenn ich von Ihnen Abschied nehme, als wären Sie meine Schwester.“ Und er gab ihr die Hand und küßte sie auf die Stirn.

Das rauhe: „Zurücktreten!“ des Schaffners, der den Zug entlang eilte und die Thüren zuschlug, riß die kleine Gruppe auseinander; Wolfgang sprang in den Wagen und grüßte die Zurückbleibenden noch einmal mit Hand und Augen, das letzte, hastige Läuten schallte durch die Halle, da schoß der lange Alfred, die Stirn mit dem Taschentuch trocknend, aus der Vorhalle in den Perron und rief schon von weitem:

„Gott sei getrommelt und gepfiffen, daß Sie noch da sind! Wäre ich zu spät gekommen, ich hatte es mir nie vergeben. Aber eine höchst dringende Abhaltung – „

„Hätte mich beinahe verhindert, Ihnen in Fräulein Hoyer meine Braut vorzustellen!“ schnitt Wolfgang in bester Laune den Redefluß ab.

Eine Verbeugung Marthas, die neben ihm ans Fenster getreten war, eine verdutzte Reverenz des Sonettendichters, ein Händedruck Wolfgangs — und der Zug kam langsam ins Rollen. Alfred hatte Hut und Taschentuch noch immer in der Hand, als die kleine Anna am Arme des jungen Schlossers auf den aus einer Verblüfftheit in die andere Fallenden zutrat und mit einem ein ganz klein wenig spöttischen Knix und einem mühsam unterdrückten Kichern vorstellte:

„Mein Bräutigam, Ferdinand —“

Die weiteren Worte gingen in dem schrillen Pfiff der Lokomotive unter, Krone aber, der wieder vorgetreten war, schwenkte mit aller Macht seinen breitkrämpigen Filzhut und rief mit wahrer Stentorstimme den Scheidenden nach:

„Es lebe die soziale Republik!“

Ende.
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)