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Besuch bei Wolfgang, der ihr einst durch Frau v. Larisch aufgezwungen worden war, gebeichtet, und diese Beichte war mit einem dankbaren Händedruck beantwortet worden. Sie betraten dabei den noch verödeten Perron, in dem der Zug aber bereits hielt, und Wolfgang sagte nachdenklich:

„Von Deiner Leontine kann und muß ich Dir da auch noch wunderliche Geschichten erzählen: mach Dich nur immerhin auf Briefe, Maiblümchen, sogar auf ein Rendezvous im Walde gefaßt, es hat sich auch noch eine dritte Dame einigermaßen für mich interessiert und mir einen anonymen Brief geschrieben.“

Martha lachte, indem sie im Coupé Platz nahm:

„Am Ende gar Emmy? Wie komisch das wäre! Aber Scherz beiseite: kann nicht sie es gewesen sein, die Herrn Reischach auf seine Pläne gebracht hat? Nun, wir reisen ja in die weite Welt und da kannst Du in aller Ausführlichkeit erzählen.“

Wolfgang löste eben am Schalter die Billets, als Krone, den breitkrämpigen Hut tief ins Gesicht gedrückt, eilfertig die Stufen emporgesprungen kam; unser Freund schob seinen Arm unter den des wackeren Jüngers Gutenbergs und ging langsam mit ihm im Perron auf und ab. Er hatte aber bald bemerkt, daß Krone zerstreut und befangen war und mit irgend einem Entschluß kämpfte, und so sagte er denn scherzend:

„Krone, Sie haben etwas auf dem Herzen und wissen nicht, wie Sie es anbringen sollen; heraus damit, sonst kommen uns schließlich noch andere über den Hals.“

„Ach, es ist rein nichts — eine Kleinigkeit; ich wollte Sie nur bitten — nehmen Sie hier den Brief, aber machen Sie ihn erst in ein Paar Tagen auf!“ stieß der so Ueberrumpelte, sichtlich sehr ärgerlich über sich selbst, in hilfloser Verwirrung heraus, und wollte Wolfgang dabei ein ziemlich großes, selbstgeschnittenes, sorgsam mit Gummi zugeklebtes Couvert aufdringen. „Es ist nur so ein Einfall von mir, aber Sie dürfen mir den Spaß nicht verderben.“

Wolfgang würde, wäre Krone dabei ruhig und unbefangen geblieben, den Brief, um Weitläufigkeiten zu vermeiden, achtlos in seine Brusttasche versenkt haben; diese Verlegenheit und dieses tiefe Erröten machten ihn stutzig und eine Ahnung blitzte in ihm auf. Er drohte scherzend mit dem Finger:

„Mein lieber Krone, ich fürchte sehr, Sie wollen sich in der letzten Viertelstunde untreu werden, das heißt, mich überlisten und mir ein X für ein U machen. Die Hand aufs Herz — Sie wollen mir da Geld mitgeben, weil Sie mich für halb und halb gemaßregelt ansehen und fürchten, ich könnte drüben in Verlegenheit kommen. Sie haben sich das sehr hübsch ausgedacht und alles sehr fein eingefädelt, aber Sie sind zum Diplomaten verdorben und werden in Ihrem ganzen Leben kein Schauspieler.“

„Das ist ja eben das Unglück; Sie sollen die paar Thaler als einen Vorschuß ansehen, — können es ja später wieder bezahlen, —

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_230.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)