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Wolfgang biß sich aus die Lippen und erwiderte bitter: „In der That, es ist sehr hart und sehr ungerecht, sich nicht ungestraft aufs tödlichste beleidigen und beschimpfen zu lassen; in der That, ich habe ein großes Unrecht begangen, und man wird mir beweisen, daß ich verpflichtet bin, zu widerrufen und Abbitte zu leisten.“

„Wenn Sie aber nun gar nicht beleidigt und beschimpft wären, wenigstens von der nicht, von der Sie zu glauben vermochten, sie sei einer solchen Handlungsweise fähig? Wenn ich Ihnen nun beteuerte, daß ich diesen Teil Ihres Briefes gar nicht verstehe, daß ich nicht weiß, welche Mittelsperson Sie meinen können und daß ich zu Ihnen komme, um zu erfahren, wer diese Mittelsperson ist?“

Der sanfte, traurige Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, die Abwesenheit auch nur eines Schattens von Vorwurf entwaffneten Wolfgang. Angstvoll und erregt fragte er:

„Sie haben nicht mit Herrn Reischach gesprochen. Sie haben ihm keine Vollmacht gegeben, mit mir zu reden, Sie haben mir keine — Bedingungen durch ihn gestellt?“

„Ich habe also das Richtige erraten: über meinen Kopf hinweg hat man eine gewissenlose Intrigue angesponnen und sich nicht gescheut, mich im Parteiinteresse in diese Intrigue zu verflechten! Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß es mir nie möglich gewesen wäre, Bedingungen zu stellen, daß Bedingungen solcher Art zum Ueberfluß gegen alle meine Ueberzeugungen oder vielmehr gegen mein ganzes Gefühl streiten, daß ich mich nimmermehr einer Mittelsperson bedient hätte und daß endlich Herr Reischach der letzte Mensch auf der weiten Erde gewesen wäre, den ich mir zum Mittelsmann ausersehen hätte? Oder wenn Sie mir nicht glauben, stellen Sie mich ihm gegenüber und ich werde ihm ins Gesicht sagen, daß er gelogen hat und daß ich ihn verachte und verabscheue.“

Wolfgangs Lippen zitterten und seine Augen wurden feucht; mit gepreßter, klangloser Stimme erwiderte er:

„Ich verdiente Ihre Verachtung, wenn ich im stande wäre, der ersten Beleidigung die zweite hinzuzufügen. Ich glaube Ihnen — jedes Wort, jede Silbe!“

Martha atmete tief auf und ein sonniger Schimmer glitt über ihr bleiches, übernächtiges Gesicht. Sie sah, wie Wolfgang, in dessen Zügen es arbeitete, nach Worten rang, und sie sagte rasch:

„Und nun keine Selbstvorwürfe, Sie würden mich dadurch nur beschämen. Sie haben mir Unrecht gethan, aber einer mit solcher Sicherheit und Bestimmtheit auftretenden Lüge gegenüber waren Sie wehrlos, mußten Sie glauben; Sie kannten mich ja nicht, konnten nicht wissen, daß, man mir das Allerunmöglichste angedichtet hatte und daß ich nur ein einziges Mal in meinem Leben mich auf einen politischen Disput eingelassen habe, um Sie nämlich in Schutz zu nehmen. Ich kann Ihnen noch mehr sagen: nach meinem Gefühl hätte ich, wäre ich wirklich einer solchen Handlungsweise fähig gewesen, alle Ihre Vorwürfe nicht bloß verdient,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)