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Tribüne gestanden und mit dem Aufgebot aller Beredtsamkeit dazu beigetragen hatte[WS 1], daß dieser Sieg erkämpft ward.

In dieser dumpfen Träumerei hatte er ganz überhört, daß die Thür leise geöffnet worden war, und er fuhr fast erschrocken auf, als Proud sich mit seinem tiefen Murren aufrichtete, aber nur, um im nächsten Moment alle Zeichen der Freude zu geben und sich vertraulich der dunkeln weiblichen Gestalt zu nähern, die auf der Schwelle erschienen war und sich mit einem kaum hörbaren „Guten Abend!“ in unverkennbarer Befangenheit zu dem prächtigen Tiere herabbeugte und ihm den glatten Kopf streichelte.

Wolfgang schrak zusammen – halb in Unmut, halb in Freude; trotz der Dunkelheit glaubte er die Gestalt Marthas zu erkennen, und selbst an dem fast gehauchten „Guten Abend“ ihre Stimme. Hastig zündete er Licht an, und als das kleine Flämmchen des schwedischen Hölzchens aufzuckte, entfuhr ihm ein unwillkürliches, staunendes, aber merklich kühl klingendes :

„Sie – Fräulein Hoyer?“

„Ich selbst. Sie zwingen mich ja, zu Ihnen zu kommen. Ich dachte erst, es werde eine schriftliche Auseinandersetzung genügen, aber ich bin anderer Ansicht geworden.“ Das klang schon ziemlich fest, wenn auch die Stimme noch ein wenig bebte, aber es klang zugleich so sanft, daß es Wolfgang blutsauer wurde, die ihm schüchtern entgegengestreckte Hand nicht herzlich zu drücken. Er schlug die Augen nieder und schien die Hand nicht zu sehen, die ihm angeboten wurde.

„Sie können mir Ihre Hand immer geben – ich hoffe, in einer Viertelstunde geben Sie mir diese Hand freiwillig,“ fuhr Martha sanft und fast wehmütig fort.

„Sie kommen zu mir, um – “

„Um zu fragen, seit wann Wolfgang Hammer einen Menschen auf eine ungeheuerliche Anklage hin verurteilt, ohne ihm Gelegenheit gegeben zu haben, sich zu verteidigen.“

„Ich verstehe Sie nicht, wenigstens nicht so recht, Fräulein Hoyer.“

„Warum wollen Sie mir ausweichen? Kennen Sie diesen Brief nicht?“

Eine heiße Blutwelle schoß Wolfgang bis in die Schläfen; er stampfte unwillkürlich mit dem Fuße und seine Hand streckte sich hastig nach dem Briefe aus.

Martha zog denselben ängstlich und mit einer fast demütigen Bewegung zurück.

„Nein, nein, den Brief dürfen Sie mir nicht wieder nehmen und Sie sollten auch Anna nicht zürnen, daß sie ihn mir zu früh gegeben hat; sie hat Sie durch diese Eigenmächtigkeit davor behütet, eine Ungerechtigkeit zu begehen, eine Härte, die Ihrer unwürdig ist und die Sie gewiß noch bereut hätten. Alle meine Vorstellungen von Ihrem Charakter würden Schiffbruch leiden, wenn Sie im stande wären ihr zu zürnen, weil sie Ihnen Gelegenheit giebt, ein begangenes Unrecht wieder gut zu machen.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: habe
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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_223.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)