Seite:Ein verlorener Posten 221.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

gebrochen hatte und mutmaßlich schon in den nächsten Tagen abreisen werde, er wollte jedoch nicht Gegenstand irgendwelcher Ovation werden und erklärte daher, daß er wahrscheinlich am folgenden Mittag reisen würde, nahm aber im voraus Abschied und bat, alle etwaigen Fragen dahin zu beantworten, daß er seine Abreise in aller Stille zu bewerkstelligen wünsche und daß man ihm einen persönlichen Gefallen erweise, wenn man seine Abreise ganz ignoriere.

Die „Henkermahlzeit“, wie Wolfgang mit einem matten Versuche zu scherzen sein Tafeln mit seiner alten wackeren Wirtin nannte, wurde von dieser durch eine Flasche Wein, die von ihrer silbernen Hochzeit her noch in einer Kellerecke stand, auf die Höhe eines Abschiedsmahls emporgehoben. Die alte Frau war tief gerührt darüber, daß Wolfgang ihr anbot, unter seinen Bildern eins als ein Andenken auszuwählen, das sie immer an sie erinnern solle, und daß er ihr von freien Stücken versprach, ihr zu schreiben, sobald er in England „oder irgendwo“ festen Fuß gefaßt hätte. Es war ihr, als gehe ihr einziger Sohn in die Fremde und selbst Proud wurde an diesem letzten Tage in unverantwortlicher Weise verwöhnt.

Nach Tische ging Wolfgang an die Ordnung seiner Schreibereien; es war da vieles auszuscheiden, was das Mitnehmen nicht lohnte. In einem Fach des Sekretärs fand er den grünen Seidenfaden, mit dem einst die Maiblümchen zusammengebunden waren; jetzt, wo er wußte, daß Frau von Larisch es gewesen war, die ihm diese zarte Aufmerksamkeit erwiesen hatte, war der Faden wertlos geworden und Wolfgang warf ihn halb verächtlich fort, mit einem Aufwerfen der Lippen, das auf eine schmerzliche Bitterkeit schließen ließ. Um so länger verweilte er bei dem rehbraunen Handschuh, ja, dieser Handschuh gab sogar seinen Gedanken eine ganz bestimmte Richtung und fast unwillkürlich flossen seine Gedanken in die Versform. Es dunkelte bereits, als er die Verse aufschrieb, die gewissermaßen seinen Abschiedsgruß bildeten und den Strich, den er nachdenklich unter diesem wehmütigen Kapitel im Buche seines Lebens zog, um es für immer abzuschließen.

Die Verse lauteten:

Es kam zu mir in linden Frühlingstagen
Der liebe Traum, den treulich ich gehegt;
Jetzt, wo der Sturm die weiße Fläche fegt,
Muß ich für immer traurig ihm entsagen.
Er narrte lange mich und ist zerronnen,
Als ich nach ihm gegriffen mit der Hand,
Und mit dem schönen, leeren Trugbild schwand
Was heimlich ich gedichtet und gesonnen.

Vorbei! Ich sollte zürnen wohl und fluchen,
Dem trügerischen, wesenlosen Bild,
Doch immer wieder ward ich weich und mild
Und immer blieb's bei zaudernden Versuchen.
Mir ist, als stünd' ich ernst an einem Grabe,
Im Auge Thränen, weh das Herz und wund,
Und ein: „Leb' wohl, leb' wohl!“ von bleichem Mund
Ist alles, was für meinen Traum ich habe.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_221.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)