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that ihr weh. Sie half ihm mit zitternden Händen, so gut es gehen wollte, aber immer wieder nahm sie die Küche zum Vorwand, um ihn zu verlassen, d. h. um ihm ihre mütterlichen Thränen zu verbergen. Er hatte sie gebeten, ihm mittags einen Teller Gemüse zu geben, da er nicht noch einmal in den Gasthof gehen mochte, um sich da wie ein Wundertier angaffen zu lassen, und sie hatte, um ihm eine letzte Liebe zu erweisen, nach einem Fisch geschickt und aus dem Keller die letzte Büchse eingesetzter Pflaumen geholt, die er so sehr gelobt hatte, als sie ihm voll Hausfrauenstolz einmal eine Probe davon gegeben hatte.

Im Laufe des Vormittags ging Wolfgang einmal fort, um seinen Stimmzettel abzugeben. Es entstand ein Geflüster und Gezischel im Wahllokal, als er eintrat und die Herren an der Urne, die er ja alle kannte, erwiderten seinen gelassenen Gruß mit kühler, fremder Höflichkeit. Dafür nickten ihm aber die Arbeiter und Kleinbürger teilnahmsvoll und bewundernd zu, er empfing manchen offenen und manchen verstohlenen, aber darum nicht minder herzlichen Händedruck und er hatte manchen gutgemeinten, wenn auch nicht glatt stilisierten Abschiedsgruß zu erwidern.

Als er wieder heimkam, hörte er Frau Meiling vor ihrer Thür in ungewöhnlich aufgeregtem Tone zu einer Nachbarin sagen: „Ihr Alter hat's gesagt? Na, der sollte doch ja schweigen, denn der versteht von solchen Dingen gerade so viel, wie der Esel vom Lautenschlagen, und darauf, daß Herr Hammer doch recht gehabt hat, können Sie sich verlassen — Sie und Ihr Alter. Das fehlte noch, daß ich ihn am letzten Tage in meinem Hause schlecht machen ließe! Er ist ein so braver und wackerer junger Herr, daß es wohl ordentlicher auf der Welt zugehen würde, wenn alle so viel wüßten wie er, und wenn er nur die Hälfte so wäre!“ In ihrem Eifer hatte sie es gar nicht beachtet, daß Wolfgang von rückwärts auf sie zutrat, bis er ihr leise auf die Achsel klopfte und scherzend sagte:

„Na, na. Frau Meiling, was ist denn das? Jetzt fangen Sie auch noch an, auf offener Straße politische Reden zu halten? Am Ende gehen Sie nun auch mit in die Volksversammlungen?“

Die wackere Alte retirierte zwar in die Küche, meinte aber: „Wenn Sie's auch gehört haben, das schadet nichts — ich leide es nun einmal nicht, daß sie auf Sie hineinhacken, wie die Sperlinge auf einen Kanarienvogel, weil der singen kann und sie nur piepen.“

Wolfgang stieg hinauf in sein Zimmer; es sah da schon seltsam öde und unwirtlich aus, und Proud hatte sich neben eine bereits zugenagelte Kiste gelegt, als müßte er sie bewachen.

Es war mancherlei zu ordnen und zu regeln, namentlich in den Angelegenheiten der Feuerwehr, und die Zeit verging ihm um so schneller, als sich verschiedene Arbeiter, mit denen er vor und seit Gründung des sozialdemokratischen Vereins öfters persönlich verkehrt hatte, bei ihm einstellten, um zu erforschen, wann er die Stadt verlassen würde; es hatte sich ziemlich rasch herumgesprochen, daß er sofort mit dem Kommerzienrat

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)