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bereits genug gesehen, um zu wissen, daß die Leute unglaublich arm und doch brav und treu und fabelhaft genügsam sind und daß die Löhne auf einem Niveau stehen, das sich absolut nicht mehr erniedrigen läßt. Darüber werde ich wohl mit dem Alten früher oder später zusammenrennen; es wird mir nicht willkommen sein, aber ich bin es schon den wackeren Leuten schuldig, die mich zu ihrem Hauptmann bei der freiwilligen Feuerwehr gemacht haben und mir die rührendsten Beweise von Anhänglichkeit und Vertrauen geben, für sie einzutreten, wenn sie von einem glatten Schleicher wahrheitswidrig verunglimpft werden. Du sagst: „Aha, da hat er ja schon ein Amt!?“ Dazu bin ich allerdings sehr ohne mein Zuthun gekommen. Es besteht hier die Bestimmung, daß alle jungen Leute bis zum 35. Jahre in der Bürgerfeuerwehr, einer Art von Landsturm für den Fall größerer Brände, zu dienen haben, dafern sie nicht nachweisen, daß sie der freiwilligen Feuerwehr angehören, die daneben besteht und auf der die Hauptlast ruht, oder dafern sich der Arzt nicht zur Ausstellung eines Untauglichkeitsattestes herbeiläßt. Man deutete mir an, daß einer der Herren Äerzte in diesem Punkte sehr „kulant“ sei, und als ich erwiderte, daß ich die krummen Wege nicht liebe und als alter Feuerwehrmann, der noch aus der einst berühmten Leipziger Schule stammt, in die freiwillige Feuerwehr eintreten würde, lächelte man und meinte, das würde ich mir schon anders überlegen, wenn ich die Leute erst gesehen hätte. Die freiwillige Feuerwehr rekrutiere sich fast ausschließlich aus den untersten Schichten der Bevölkerung, und die paar jungen Commis, die mitthäten, stellten sich nur der Uniform zuliebe in Reih und Glied neben Weber und Handwerksgesellen. Du weißt, wie ich über diesen Punkt denke — ich meldete mich sofort und habe es nicht bereut. Der Hauptmann, ein braver Schlossermeister, hatte bei den Steigerübungen bald erkannt, daß ich von der Sache mehr verstand als er, und schon vor der Generalversammlung, die nicht lange danach stattfand, hatte er seine Leute Mann für Mann überzeugt, daß es nur recht und in der Ordnung sei, wenn ich an seiner Stelle gewählt würde; was war auch gegen sein Argument einzuwenden, daß ich alles besäße, was er habe bieten können — Treue und guten Willen, aber auch noch etwas mehr: gründliche Sachkenntnis und Jugend? Er trat in die Steigerabteilung zurück und dient jetzt mit altem Eifer unter mir, und nach dem ersten Exercitium unter meiner Leitung kam er zu mir und sagte: „Sagen Sie nicht selber, daß alles einen ganz anderen Zug und Schick hat?“ Und dabei glänzte sein rotbraunes, verwettertes Gesicht vor Befriedigung.

Weiter schrieb unser junger Freund in dieser Nacht nicht. Er stützte plötzlich den Kopf in die Hand und versank in ein Nachdenken, dessen Resultat der vorläufige Verzicht aufs Weiterschreiben war. Fühlte er sich müde oder konnte er nur mit dem, was er zu erzählen hatte, nicht so ohne weiteres ins reine kommen?

Bis zum nächsten Abend war er sich indessen klar geworden, in welchem Geiste der Brief weitergeführt werden mußte. Der sich ergebende Schluß lautete folgendermaßen:

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_22.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)