Seite:Ein verlorener Posten 217.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Verse, wie die seinen vor sich liegen hatte, mit der Aussicht, sich einen endlos langen Tag hindurch an diesen bittersüßen, kummervoll-innigen Worten zu berauschen?

*          *          *

Während Martha so mit der Entschiedenheit des in ihren besten und heiligsten Empfindungen beleidigten Weibes einen Entschluß faßte, der ihr nicht einmal einen Kampf kostete, saß der Kommerzienrat mit seiner Tochter am Frühstückstisch.

Er war ungewöhnlich einsilbig und verstimmt und suchte ersichtlich nach einem Ableiter für seine üble Laune. Aber Emmy war nicht gewöhnt, sich von dem Herrn Papa und seinen gelegentlichen Anwandlungen schlimmen Humors einschüchtern zu lassen und sie unterdrückte die Frage nicht, die ihr schon seit einigen Tagen auf den Lippen schwebte.

„Was ich Dich schon lange einmal fragen wollte, Papa: Wie steht es mit Herrn Hammer und Martha? Du wolltest doch dafür sorgen, daß er endlich mit der Sprache herausginge und sich ein Herz fasse, und ich hatte eigentlich im stillen gedacht, Du würdest es so einrichten, daß wir Martha ihren geliebten Wolfgang zu Weihnachten bescherten; das wäre doch ganz reizend gewesen.“

Der Kommerzienrat schob die Tasse mit einer so heftigen und unmutigen Bewegung zurück, daß das Geschirr schwankte und klirrte und Emmy ihn höchst betreten und vorwurfsvoll ansah.

„Das fehlte gerade noch, daß Du nun auch noch kommst und mir mit solchen Geschichten den Kopf warm machst! Schlag Dir den Gedanken aus dem Sinne — daraus wird nichts!“

„Wird nichts? Ja, Papa, wie soll ich denn das verstehen? Warum trittst Du so plötzlich zurück? Du warst doch erst ganz einverstanden?“

„Das war ich allerdings, aber zu einer Verlobung gehören bekanntlich immer zwei, und dieser Herr Hammer, den ich in der zartesten Weise ermutigt hatte, sich um Martha zu bewerben, hat sie gestern abend, förmlich öffentlich, in der beleidigendsten Weise — ausgeschlagen. Es scheint, daß mein Fräulein Tochter sich denn doch ganz merkwürdig getäuscht hat, und es war nicht sehr überlegt von mir, mich auf ihre Vermutungen und Einbildungen zu verlassen.“

Es war vielleicht das erste Mal, daß er seiner Tochter gegenüber so bitter ward, und dieser Umstand und die unbegreifliche Neuigkeit versetzten Emmy in eine sprachlose Bestürzung. Sie wurde ganz blaß und stammelte endlich:

„Ja, aber Papa, das ist doch gar nicht möglich — da muß irgend ein unglückseliges Mißverständnis —“

„Mißverständnis! Ich sage Dir, Emmy, dieser Herr Hammer weiß ganz genau, was er will. Das ist ein fanatischer Mensch, den der Teufel reitet; er hat nicht bloß Martha ausgeschlagen, weil sie zur guten Gesellschaft gehört, die er aufs grimmigste haßt, er hat auch gestern abend eine skandalöse Rede gehalten und für den infamen Sozialdemokraten gesprochen ,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_217.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)