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wußte und was ich eigentlich auch für mich behalten sollte. Damals haben Sie gerade so leuchtende Augen gehabt, wie heute, und mir jedes Wort vom Munde genommen und mir so herzlich gedankt, daß ich mir eben auch in aller Stille meinen Vers darauf gemacht habe. Und dann sind Sie auf der Reise so traurig gewesen. Sie wurden so froh, als es wieder heim ging, und das habe ich mir alles zurecht gelegt und gemerkt.“

Martha errötete leicht, aber sie war nicht in der Stimmung, sich jetzt ihrer scheuen, hoffnungslosen Liebe zu schämen. Sie sagte einfach: „Auch das mag alles richtig sein, und hoffentlich können nicht alle so scharf beobachten; es haben wohl auch nur Sie so viel Interesse an mir genommen.“

„Glauben Sie das nur nicht. Fräulein Martha; ich habe mehrmals von Frau v. Larisch und Fräulein Reischach Andeutungen gehört, die bewiesen, daß Sie auch ungefähr wußten, wie es Ihnen Herr Hammer angethan hatte.“

Martha hatte den Kopf in die Hand gestützt; dann erwiderte sie entschlossen:

„Das soll jetzt hoffentlich alles gleichgültig sein und jedenfalls soll es mich nicht anfechten. Aber nun, Anna, lassen Sie mich allein; ich habe noch vieles vor, das Sie wohl auch freuen wird, und das will überlegt sein. Und über alles, was Sie wissen, halten Sie reinen Mund — gegen jedermann. Diesmal müssen Sie allerdings gewissenhaft sein, sonst könnte uns schließlich doch noch alles fehl gehen.“

Anna legte mit einer anmutig-übermütigen Uebertreibung und einem strahlenden Blick die Linke vor den Mund, die Rechte auf die Brust und neigte zum Zeichen des Gehorsams den Kopf; Martha konnte in diesem Blicke lesen, daß Anna diesmal ihr Versprechen unbedingt halten würde, und die Kleine hatte in der That das Gefühl, als werde erst eine blinde Unterwerfung unter Marthas Wunsch ihren Ungehorsam Wolfgang gegenüber zu einem segensreichen machen. Davon, was Martha nun thun würde, hatte sie freilich kaum eine Vorstellung, als sie mit glühenden Wangen aus dem Zimmer huschte und, ein Liedchen summend, die Treppe hinablief, aber sie verließ sich unbedingt auf die einsam Zurückbleibende und war überzeugt, daß diese es verstehen werde, alles zu einem guten Ende zu führen.

Mit dem Erwachen des Tages war es auch in Marthas Seele heller geworden; als der Sturm der ersten Erregung vorüber war, ward sie eher wieder eines scharfen Nachdenkens fähig, vermochte sie eher wieder die Verhältnisse kühl und gelassen zu überdenken und fragte sich bald mit einem gewissen Staunen, wie es nur möglich gewesen sei, Wolfgangs Andeutungen so gar rätselhaft zu finden. Es schien ihr jetzt fast selbstverständlich. daß der Kommerzienrat der „Mittelsmann“ gewesen war, von dem Wolfgang mit so viel Geringschätzung und Bitterkeit sprach, und erwog sie, was ihr einst der Rektor über Wolfgangs politische Thätigkeit gesagt hatte, so brauchte sie nur noch die Annahme, daß Frau v. Larisch eines Tages aus Uebermut oder Langeweile in ihrer leichten, spöttischen,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_215.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)