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„Freilich haben Sie es gut gemacht, freilich sind Sie klug gewesen, freilich wäre ich jetzt ohne Sie sehr, sehr unglücklich — viel unglücklicher, als Sie sich denken können !“ sagte sie leise und herzlich, und ihre weiße Hand glitt schmeichelnd über das in glücklicher Verschämtheit gesenkte Köpfchen. Anna hatte einen scheuen Blick zu Martha erhoben — wie leuchteten jetzt diese dunklen Augen, deren trostloser, zerstreuter Ausdruck sie wenige Minuten vorher noch so tödlich erschreckt und ihr allen Mut genommen, der ihr wenige Minuten vorher noch zum bittersten Selbstvorwurf gereicht hatte! Sie schauerte zusammen unter der liebkosenden Berührung der weichen Hand, die sie am liebsten an ihre Lippen gezogen hätte, und sagte, ihre Bewegung mühsam niederkämpfend:

„Wie glücklich mich das macht! — Ich hätte keine ruhige Stunde wieder gehabt, wenn es schlimm abgelaufen wäre, und ich habe die beiden letzten Nächte vor Herzklopfen kein Auge geschlossen. Hundertmal habe ich mir gesagt: „Du darfst nicht!“ und immer wieder sagte mir dann eine Stimme: „Du mußt!“ Und wie habe ich mich vor Ihrer ersten Frage gefürchtet! — Als Sie mich vorhin Heraufrufen ließen, war es mir gerade, als müßte ich vor's öffentliche Gericht! Nein, das war ganz schrecklich, Fräulein — aber jetzt möchte ich die ganze Welt umarmen!“

Martha erwiderte mit einem gerührten Lächeln:

„Wissen Sie denn aber auch, daß Sie sich eine schlaflose und mir eine traurige Nacht hätten sparen können, wenn Sie mir gestern Abend offenherzig gesagt hätten, daß Sie den Brief eigentlich erst abgeben dürften, wenn Herr Hammer fort sei, daß Sie ihn mir aber früher brächten und das; er erst heute Nacht reise?“

„Ach ja, das wollte ich auch erst thun, aber ich hatte nicht den Mut dazu; die Worte blieben mir in der Kehle stecken und so bin ich schließlich mit schwerem Herzen gegangen, ohne Ihnen eine Silbe gesagt zu haben.“

„Nun, werden Sie mir nicht wieder betrübt — die Nacht, die hinter mir liegt, ist ein geringer Preis für alles Liebe und Gute, das in dem Briefe steht, und alles, was noch dunkel bleibt, muß sich nun klären; wäre Ihr tapferer Retter freilich schon fort gewesen, so war es zu spät und dann war der Brief recht sehr traurig für mich.“

Anna nickte nur — Marthas Worte waren ja einigermaßen dunkel für sie, aber sie glaubte sich nicht berechtigt, zu fragen. Sie sagte ablenkend:

„Es ist gewiß ein recht schöner Brief gewesen, den ich einer anderen als Ihnen gar nicht gönnen würde. Aber Sie hätten nur sehen sollen, wie traurig und ernst Herr Hammer am Mittwoch war; er wollte sich freilich nichts merken lassen, er that, als wäre ihm alles gleichgültig, aber ich hätte kein Mädchen sein müssen, wenn ich nicht gefühlt hätte, daß es nicht richtig mit ihm war und daß es eine geheimnisvolle Bewandtnis damit hatte, daß Sie den Brief, der ihm so wichtig zu sein schien, erst haben sollten, wenn er fort war. Ich habe absichtlich von Ihnen gesprochen; er zuckte mit keiner Wimper, aber ich sah es ihm an den Augen an, daß ihm das Herz schwer war. Ich habe ihm hoch und heilig versprechen

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_213.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)