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Zwischenraum zwischen den Tischen der Gegner, denen diese Invasion eine gewisse Reserve aufnötigte. Wolfgangs Blick schweifte während der Rede öfters hinüber nach dem Komiteetisch, — er konnte zufrieden sein. Man war dort im ersten Moment wie niedergedonnert und verharrte minutenlang in rat- und wortloser Bestürzung. Der Kommerzienrat sah geradezu stupid aus und ein Erdbeben hätte ihn nicht fassungsloser machen können; es vervollständigte seine Verzweiflung, daß der Landrat, der den Klemmer fallen ließ, ziemlich übellaunig sagte:

„Mir scheint, statt meiner erleben Sie ein blaues Wunder. Ich fürchte. Sie haben sehr unglücklich operiert, denn dieses Resultat haben Sie doch sicherlich nicht herbeiführen wollen. Sie sind wohl etwas zu zuversichtlich gewesen und haben die Eigenart des jungen Mannes nicht mit in Rechnung gezogen. Hätte ich das voraussehen können, so würde ich Sie um Mitteilung ihres Feldzugsplans gebeten haben, statt mich auf Ihre Gewandtheit zu verlassen.“

Herr Reischach wußte nichts zu erwidern; es drehte sich alles um ihn im Kreise und wie gelähmt ließ er alles weitere über sich ergehen. Die Beifallssalven der Arbeiter dröhnten ihm in den Ohren; verworren und unklar nur vernahm er die von den übrigen Komiteemitgliedern flüsternd gewechselten, bestürzten und ratlosen Bemerkungen; der Sinn von Wolfgangs Rede ging zuletzt an seiner hilflosen Betäubung fast spurlos vorüber, er vernahm nur noch den Klang der hellen, sonoren Stimme, die spielend bis in die entlegenste Ecke des weiten Saales drang, und Wolfgangs grollende Begeisterung und der Schwung und das Feuer, die mehr und mehr jedes Wort charakterisierten, hatten selbst für ihn etwas unwillkürlich Berauschendes. Das Blut drängte ihm so stürmisch nach dem Kopfe, daß er den Sprecher nur wie durch einen rötlichen Nebel sah; — was war dieser Hammer für ein rätselhafter, unheimlicher Mensch, und wer sollte ihn widerlegen und aus dem Felde schlagen? So hatte er noch nie reden hören, und auch später blieb er dabei, es den Arbeitern nicht verdenken zu können, wenn sie sich von Wolfgangs Worten beherrschen und fortreißen ließen. Als Wolfgang die Tribüne unter betäubendem, minutenlangem Jubelruf verließ, stürzte Krone, der sich von der Galerie in den Saal begeben hatte, nach derselben — er hatte sich beim Vorsitzenden, der vollständig den Kopf verloren hatte, zum Wort gemeldet. Seine Wangen glühten, seine grauen Augen blitzten; Wolfgangs besorgtes, abmahnendes: „Lassen Sie das, Krone; wozu wollen Sie auch noch in den Abgrund springen?“ beantwortete er nur durch ein energisches Kopfschütteln und ein aufgeregtes: „Ich muß!“ und faßte aus der Tribüne Posto. Er kam aber nicht sogleich zum Sprechen; die Wogen gingen noch hoch und die Klingel des Vorsitzenden machte vergebens verzweifelte Anstrengungen, die Ruhe wiederherzustellen.

Wolfgang verfügte sich, mit leichtgeröteten Wangen, im übrigen aber ruhig und sicher, an den Komiteetisch, warf einen etwas ironischen Blick auf den Rektor, dessen Gesicht eine graugrünliche Färbung angenommen

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_205.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)