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die für einen Arbeiterkandidaten abgegeben wird, ist ein Einzelprotest, und auch diese Einzelproteste machen addiert einen Eindruck; jede Stimme mehr, gleichviel in welchem Winkel Deutschlands sie abgegeben wird, ist ein Gewinn. Darum gebe auch ich morgen meine Stimme dem Kandidaten der Arbeiterpartei.

Ich glaube, ihr kennt mich so ungefähr und habt Beweise dafür, daß ich ein Herz für euch habe. Ich glaube, euer Vertrauen zu besitzen Und an dieses Vertrauen wende ich mich. Wenn meine Stimme für euch Gewicht hat, so hört auf mich; wenn ihr in mir einen treuen und uneigennützigen Berater seht, so befolgt meinen Rat und habt den Mut, eine eigene Meinung zu haben und das Neue nicht schon deshalb zu verwerfen, weil es neu ist. Die Entwicklung geht unaufhaltsam vor sich und bei der nächsten Wahl würdet ihr ganz von selbst jeden auslachen, der euch zumutete, für einen klerikalen oder für einen liberalen Kandidaten zu stimmen. Aber warum so lange warten? Es ist ehrenvoller für euch, schon diesmal in die Reihen der kämpfenden Brüder zu treten. Seht mich als ihren Sendboten an, — wollt ihr, könnt ihr die Unterstützung verweigern, die man durch mich von euch begehrt? Ich weiß, das werdet ihr nicht thun. Auch ihr stimmt morgen für den Kandidaten der Arbeiterpartei.

Ich habe zum ersten und zum letzten Male zu euch gesprochen; für Worte, wie ich sie an euch gerichtet, giebt es keine Duldung und kein Verzeihen. Behaltet mich, der immer euer Freund war, in gutem Andenken und laßt mich in meiner neuen Heimat recht bald hören, daß ich heute nicht vergebens gesprochen habe, daß meine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Daß die Bewegung, für die ich euch gewinnen wollte, mit jedem Tage neue Anhänger gewinnen, daß sie sich mit einer für ihre Gegner beängstigenden Schnelligkeit ausbreiten wird, sagt sich jeder, der die Verhältnisse aufmerksam beobachtet und sich nicht absichtlich verblendet. Aber es wird mir eine besondere Freude sein, zu hören, daß auch dieser Kreis, daß auch dieses stille Thal seine Bataillone zu dem großen Arbeiterheere stellt, das gegen die Burgen der Vorrechte marschiert und sie stürmen und brechen wird, früher oder später, aber sicher und gewiß!

Ich bin, auch was euch betrifft, guten Muts. Ich weiß, in euch allen lebt ein guter und tüchtiger Geist, und dieser Geist, den sie freilich Rebellion nennen und der Feindschaft gegen Staat und Gesellschaft und der wildesten Gelüste zeihen, er wird morgen kräftig seine Schwingen entfalten und nie wieder gestatten, daß man sie binde — durch List oder Gewalt!“ —

Als Wolfgang die Tribüne verließ, wußte er, daß er vollständig gesiegt hatte. Die heftigen, leidenschaftlichen Proteste, welche seine Worte anfänglich hervorriefen, waren nach und nach vor dem stürmischen Beifall verstummt, der aus dem Hintergrunde des Saals und von den Galerien ertönte und sich fast nach jedem Satze in fortwährender Steigerung wiederholte. Die Arbeiter drängten nach vorn und füllten jeden

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_204.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)