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wird? Jetzt giebt es neben den Schwarzen noch Hellgraue und Dunkelgraue, später wird das reine Weiß gegen das tiefe, dunkle Schwarz stehen. Beschleunigt die unvermeidliche und notwendige Scheidung, indem ihr euch schon jetzt von den Parteien lossagt, denen ihr nur wohlfeiles Stimmvieh geliefert habt, indem ihr euch fest und trotzig auf die eigenen Füße stellt! Es giebt eine deutsche Arbeiterpartei: was liegt näher für einen Arbeiter, als mit dieser Partei zu gehen, die seine Interessen auf ihre Fahne geschrieben hat? Ich sollte denken, hier gäbe es kein Schwanken und Ueberlegen, hier genüge das Walten des dunkelsten Klasseninstinkts.

In alle Hütten der durch die gleiche Lage, durch ihre Klassenlage Verbundenen hat in den letzten Tagen der Ausruf und der Stimmzettel für den Arbeiterkandidaten seinen Weg gefunden. Lest den Aufruf, er sagt euch mehr als genug. Laßt euch auch nicht irre und bange machen. Würden alle die gedruckten Lügen, die der Angst vor der Arbeiterbewegung ihr Entstehen verdanken, auf einen Haufen geschichtet, der Berg würde bis in die Wolken reichen, und was könnte ich in der kurzen Spanne Zeit, die ich noch vor mir habe, mehr thun, als ein paar der ärgsten von diesen zehntausend Lügen und Fälschungen in ihr armseliges Nichts aufzulösen? Die übrigen neuntausendneunhundertachtundneunzig müßtet ihr doch als unantastbar ansehen, um vor ihnen zu Kreuze zu kriechen. Glaubt gar nichts, laßt euch auf keinen Streit über Einzelheiten ein, über die hundertfache Meinungsverschiedenheiten obwalten können, haltet euch an das Fundament und das wirft euch kein Professoren-, kein Pfaffen- und kein Schulmeisterwitz über den Haufen!

Durch wenige, sehr einfache und unzweideutige Fragen läßt sich die Lage für jedermann klären. Ist euer Dasein ein menschenwürdiges? Nein! Haben eure Mühen und euer Fleiß ein besseres Los verdient? Ja. Giebt es eine Partei, die menschenwürdigere Zustände herbeiführen will? Ja. Was haben wir zu thun? Uns ihr anzuschließen, mit ihr zu stimmen; mag uns auch manches, woran sich vorläufig noch die Gelehrten die Zähne ausbeißen, nicht klar sein, mag ihr Kandidat Hinz oder Kunz, Peter oder Paul heißen. Eure Abstimmung ist einfach ein Protest, ein Schrei nach Recht, der den neuesten Ergebnissen der strengwissenschaftlichen Forschung einen seltsam zwingenden Nachdruck verleiht, weiter nichts. Und wollt ihr nicht einmal gegen die Fortdauer der jetzigen Zustände Protest erheben? Habt ihr doch bisher nur deshalb den anderen Parteien eure Stimmen zur Verfügung gestellt, weil sie euch vor den Wahlen, um eure Stimmen zu gewinnen, eine Besserung eurer Lage versprachen. Und haben sie ihre Versprechungen erfüllt, haben sie später etwas für euch gethan? Ich möchte den sehen, der nicht mit dem Fuße stampfte und die Faust ballte. Versucht es einmal mit eurer eigenen Partei; bei ihr werdet ihr wenigstens den guten Willen finden, und wird das erst allgemein eingesehen, so findet sich die Macht ganz von selbst.

Sagt nicht, daß doch alles vergebens sei und daß ihr doch nicht siegen werdet. Diesmal nicht, aber was verschlägt das? Jede Stimme,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_203.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)