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Manne, der sich fest und sicher auf die Tribüne gepflanzt hatte und mit einem kaum merklichen Nicken zu den beiden Alfreden und Krone hinaufgrüßte. Letzterer war, als er Wolfgangs Namen nennen hörte, aufgesprungen und hatte sich vor an die Ballustrade gedrängt; die beiden Chemiker hatten sich überrascht angesehen und der Dicke hatte höchst betreten gesagt:

„Ja, zum Teufel, Bruder, was ist denn das? Herr Hammer wird doch keine Dummheit begehen und aus der ganzen drolligen Spiegelfechterei bitterbösen Ernst machen?“

Aber er bekam keine Antwort mehr, denn Wolfgang hatte eben, kalt und ruhig und nur eine Idee bleicher als sonst, begonnen:

Meine Herren!

Wer von mir eine lange Rede erwartet, irrt sich. Ich habe nur eine kurze Erklärung abzugeben. Diese Erklärung ist in erster Linie an die zahlreichste Wählerklasse gerichtet, an die Männer des vierten Standes, an das arbeitende Volk. Dieser Stand, der an sich eine politische Partei ist, hat unter der Hand einen eigenen Kandidaten aufgestellt, wenn auch ohne Hoffnung auf einen Sieg. Ich beklage, daß örtliche Verhältnisse es der Partei nicht gestatteten, diese Kandidatur hier nachdrücklich zu verfechten. Sie hätte nicht mit der Laterne nach Gründen zu suchen gebraucht, wie dies nun seit länger als zwei Stunden seitens der Redner zweier anderer Parteien geschehen ist. Dieselben haben uns ein zugleich lächerliches und betrübsames Spiel vorgeführt. Ein lächerliches Schauspiel, denn diese beiden Parteien werden durch kein weltbewegendes Princip getrennt, sie sind im Grunde nur eine Partei, und wenn sie sich auch jetzt den Anschein geben, als wollten sie sich den Pelz waschen, so sind sie doch immer ängstlich darauf bedacht, ihn ja nicht etwa naß zu machen. Ein betrübsames Schauspiel, denn überall da, wo eine geschlossene Arbeiterpartei besteht und eine Macht geworden, ist ihnen sofort das Handwerk gelegt und sie rinnen, wie zwei Tropfen Quecksilber in einen, in eine zusammen.

Wäre die Arbeiterbewegung hier schon so stark, wie es anderwärts der Fall ist, so würde man die Komödie, deren Zeugen wir gewesen sind, nicht vor uns aufführen, man würde sich gegen die Arbeiter vereinigen. Früher oder später wird der sogenannte „Kulturkampf“, der doch nur ein Rang- und Etikettenstreit ist, ohnedies durch einen mehr oder minder faulen Frieden beendigt und dann werden diese Leiden sogenannten Parteien ein Bündnis schließen, das seine Spitze gegen die Arbeiter kehrt. Ist es möglich, zu verkennen, daß die Arbeiter einen Selbstmord begehen, wenn sie die Kämpfer für einen Streit stellen, der ihre Interessen nicht berührt und am allerwenigsten fördert? Ist es möglich, zu verkennen, daß Vernunft und Interesse ihnen vorschreiben und gebieten, diesen Parteien fernerhin nicht mehr Heeresfolge zu leisten, sich nicht länger durch schöne Worte ködern und kirren zu lassen und eine eigene Partei zu bilden, der es sehr not thut, rasch zu erstarken, da sie in wenig Jahren gegen eine Koalition aller anderen Parteien zu kämpfen haben

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_202.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)