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im Profil einer Fuchsschnauze ähnelnde Gesicht färbte sich nach und nach mit leichter Röte, und die malitiöse Schärfe, mit welcher der Redner jede Blöße benutzte, die sein Vorredner sich gegeben hatte, that bessere Wirkung, als das zuweilen angestrebte, aber etwas zu kanzelhaft ausfallende Pathos. Der geriebene Kaplan griff die Sozialdemokratie nur ihrer irreligiösen Richtung wegen an, gestand ihr im übrigen eine bedingte Berechtigung zu und putzte seine Rede mit allerlei demokratisch klingenden Phrasen auf, vindizierte aber der katholischen Kirche das Recht und die Absicht, sich zur Vertreterin des notleidenden Volkes aufzuwerfen.

Machten diese Ausführungen auch keinen Eindruck auf die protestantischen Arbeiter, so gingen sie doch an den katholischen, auch an den nichtultramontanen, keineswegs spurlos vorüber, und diese Wahrnehmung war ein neuer Sporn für den Rektor, der sich auf die Tribüne schwang, um zu replizieren. Er hatte aber kein besonderes Glück; in seinem Uebereifer ward er, wie einst Wolfgang gegenüber, hitzig und unvorsichtig und stellte gewagte Behauptungen auf, verhedderte sich in bedenklicher Weise und hatte sehr wenig ausgerichtet, als er verwirrt und ratlos abbrach. Das Zünglein der Waage neigte sich nach der Seite des gewandten Kaplans und man beeilte sich, die übrigen verfügbaren Rednerkräfte ins Feuer zu führen; sie stellten das Gleichgewicht notdürftig wieder her, doch hatte man am Komiteetisch allgemein das Gefühl, daß hier mit ein paar mühsam hervorgezwungenen holperigen Phrasen nichts genutzt werde und daß man nur durch eine feurige, schwungvolle Rede das moralische Uebergewicht erlangen könne. Woher aber diesen Redner nehmen? In dieser peinlichen Verlegenheit suchte der Kommerzienrat, der selber keine drei Sätze hätte hervorstoßen können, mit den Augen nach Wolfgang; der Gesuchte lehnte mit verschränkten Armen an der Ballustrade und schien das dringende, mahnende, aufmunternde Nicken seines Chefs lange nicht zu bemerken; endlich nickte er bedeutungsvoll und ernst zurück, und als der Kaplan wiederum die Tribüne bestieg, um mit einem siegesgewissen Lächeln jedem seiner Gegner einen wohlgezielten Stoß zu versetzen und sie nacheinander in den Sand zu legen, da meldete sich auch Wolfgang, der sich inzwischen nach und nach zu dem Vorsitzenden durchgedrängt hatte, zum Wort.

Sein späteres Erscheinen auf der Tribüne rief unverkennbar eine gewisse Bewegung hervor. Hüben wie drüben war man gespannt auf die Ausführungen dieses Redners, an den kein Mensch gedacht hatte, und Herr Reischach tippte den Landrat, der sich mit dem Klemmer bewaffnete, mit einem schlauen Lächeln auf die Schulter und flüsterte leise:

„Geben Sie acht, Herr Landrat, Sie werden gleich ein blaues Wunder erleben. Die Periode des theoretischen Radikalismus ist vorüber, man fängt an, mit realen Thatsachen zu rechnen und — man wird sich natürlich auch sehr gut dabei stehen. Hahaha! Habe mich lange nicht so amüsiert wie heute!“

Der Angeredete antwortete nicht; sein Blick haftete an dem jungen

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_201.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)