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ihrer Fragwürdigkeit. Lächelst Du und meinst: „Gott sei Dank, nun wird er sogleich humoristisch-satirisch werden und dem und jenem einen Denkzettel anhängen?“ Du wirst wohl recht behalten, aber Du siehst, ich kenne Dich auch.

Wollte ich bloß meiner Neigung folgen, so finge ich das Ding am umgekehrten Ende an, aber es gilt das Dekorum zu wahren und die gesellschaftliche Rangordnung wenigstens einigermaßen zu respektieren und da muß wohl zuerst mein „Brotherr“ aufmarschieren. Du bist nie im Lande der Maßkrüge, der Philosophen und der „sinnigen“ Jungfrauen gewesen und weißt daher auch nicht, wie viele absonderliche Originale die Klasse der „Kommerzienräte“ umfaßt, aber selbst in dieser bunten Gesellschaft darf mein Herr Chef Anspruch auf ein Ehrenplätzchen und auf besondere Beachtung erheben. Unwissend in einem verblüffenden Grade (trotz hoher geschäftlicher Geriebenheit) und auf stetem Kriegsfuße mit der Orthographie und Stilistik, entfaltet er doch das ganze Selbstbewußtsein eines Mannes, der als einfacher Weber und ohne einen Thaler Vermögen begonnen hat, während des amerikanischen Sklavenhalterkriegs durch glückliche Spekulationen aus einem mäßig wohlhabenden zu einem reichen Manne ward und nun die Schwäche hat, eine gesellschaftliche Stellung einnehmen zu wollen, für deren Wahrung ihm alle Bildungsvorbedingungen fehlen. Seine vorzügliche Küche, sein noch vorzüglicherer Keller und seine importierten Cigarren sichern ihm nur die äußere Achtung eines ganzen Schwarms von Leuten, die hinter seinem Rücken auf seine Kosten lachen, nachdem sie sich an seiner Tafel gütlich gethan haben. Ich will damit keineswegs sagen, daß sie an wirklicher Bildung über ihm stünden, aber sie haben wenigstens den glänzenden Lack gewisser alter Traditionen des guten Tons über ihre innere Roheit gestrichen und dieser Lack fehlt dem Parvenu naturgemäß, und seine Versuche, sich mit diesen unverstandenen und leider auch ungeschriebenen Gesetzen abzufinden, fallen unsäglich komisch aus. Zum vollen Bewußtsein des Abstandes zwischen dem einstigen Weber und dem jetzigen Kommerzienrat scheint er erst gelangt zu sein, seitdem einer der alljährlichen Wolkenbrüche von roten Adlerorden auch in sein leeres Knopfloch ein Tröpfchen verspritzt hat, und ich würde mich keinen Augenblick wundern, erzählte man mir, daß sogar das Knopfloch seines Schlafrocks mit dem geliebten Bändchen geschmückt sei. Wäre ich ein Possendichter — ich machte eine Hauptfigur aus ihm und hätte die Lacher auf meiner Seite. Kann es etwas drolligeres geben, als die Thatsache, daß er drauf und dran war, die vieljährige Verbindung mit seinem Breslauer Bankier abzubrechen, weil dieser sich der Todsünde schuldig gemacht hatte, auf der Adresse eines Privatbriefes an ihn das „Ritter“ etc. wegzulassen? Wenn ich Dir nun noch sage, daß er im stande wäre, im vollen Ernst zum Plagiator an einem seiner Mit-Titelträger zu werden, der sich in vertrautem Kreise dahin vernehmen ließ: „Was wollen Sie? Man wird alle Tage älter, alle Tage klüger, alle Tage reicher und darum auch alle Tage stolzer!“ so

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_20.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)