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nach seiner Meinung war es eine Schmach, derartiges Geschreibsel durch die Presse laufen lassen zu müssen.

Beide Parteien hatten wiederholt Versammlungen veranstaltet und ihre Anhänger bearbeitet, die Schwankenden angespornt, die Lässigen an der Ambition gepackt; den letzten Trumpf aber spielte man durch eine am Vorabend der Wahl zu veranstaltende große Versammlung aus, in welcher die beiderseitigen Führer, der Rektor Storck und ein junger Kaplan, sich entgegentreten wollten. Diese Versammlung fand in dem großen Saale des Preußischen Adlers statt und man konnte voraussehen, daß alle, die sich nur irgendwie für Politik interessierten, sich zu dieser Versammlung drängen würden, von der vorausgesehen werden konnte, daß sie entscheidend sein würde. Mit gutem Bedacht hatte man sie, obwohl sie gleich bei Beginn der Wahlcampagne vereinbart worden war, auf den letzten Tag verlegt; beide Parteien versprachen sich von dem Aufeinanderplatzen der Geister, zu dem diese Versammlung führen mußte, ein Warmwerden auch der Halben und Lauen, dessen Früchte sie am Wahltage ernten wollten.

Von dem Kandidaten, den die Sozialdemokraten ziemlich in letzter Stunde aufgestellt hatten und für den sie lediglich durch Verteilen von Aufrufen und Wahlzetteln in den Häusern thätig waren, war nur nebenher die Rede. Es war keine offizielle und eingestandenermaßen eine aussichtslose Kandidatur, durch welche man lediglich eine ungefähre Zählung der bereits gewonnenen Stimmen herbeiführen wollte; man hatte weder einen Redner, von dessen Auftreten sich ein Erfolg versprechen ließ, noch überhaupt jemanden, der sich hätte entschließen können, offen Farbe zu bekennen; die auswärtigen rednerischen Kräfte waren in den Wahlkreisen, die einen Erfolg versprachen, bis zur äußersten Anspannung in Anspruch genommen, kurz, auf dieses Mittel der Agitation hatte man verzichten müssen. Dennoch strömten natürlich auch die der sozialistischen Kandidatur geneigten Arbeiter und Kleinbürger, sowie Leute aus den umliegenden Dörfern nach dem Saale des Preußischen Adlers, der schon vor der für die Eröffnung festgesetzten Zeit zum Brechen gefüllt war.

Auch Wolfgang hatte sich nach dem Saale begeben; er fand die Mitte desselben von den „Intelligenzen“ des Orts und wohlhäbigen Gewerbetreibenden eingenommen; die durch ihren stupiden oder fanatischen Gesichtsausdruck sich sofort verratenden Ultramontanen bildeten eine kompakte Masse, deren Haltung eine ziemlich düstere und verbissene war. Die Arbeiter hielten sich fast scheu im Hintergrund und drückten sich an den Wänden hin oder sie hatten sich auf die Galerien postiert, wo sie weniger leicht gesehen und kontrolliert werden konnten.

Wolfgang machte, die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt, eine Runde auf der Galerie, die noch einige Bewegung gestattete; man machte ihm überall zuvorkommend Platz, nickte ihm freundlich zu und flüsterte sich wohl auch eine bedauernde Bemerkung ins Ohr. Bei diesem Rundgange stieß Wolfgang auch auf Krone; er schüttelte ihm herzlich die Hand und sagte:

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_198.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)