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hängt, das ist mein Geheimnis; ich muß es allerdings unaufgeklärt mit fortnehmen, obwohl ich schließlich Ihnen noch am ersten sagen könnte, wie es mir hier ergangen ist. Sie würden mich, denke ich, verstehen und Sie würden zu schweigen wissen. Aber nun, leben Sie Wohl, bis Sonnabend, sonst zerbricht sich Frau Meiling schließlich den Kopf darüber, was wir solange zu verhandeln haben, denn wie ich mit meiner kleinen Bundesgenossin stehe, das kann sie sich doch nicht denken, und sie weiß ja nicht einmal, daß ich fort muß.“

„Sie werden ihr gewiß an allen Ecken und Enden fehlen — die alte Frau dauert mich.“

„Halten Sie es denn für ein so besonderes Vergnügen, sich für mich zu plagen?“

„Das können Sie sich nun nicht denken; aber sehen Sie, ich habe mir schon gewünscht, Frau Meiling möchte einmal krank werden, denn dann hätte ich mir's sicher nicht nehmen lassen, ihr an die Hand zu gehen und ihr die Sorge für Sie abzunehmen.“

„Ja, wissen Sie denn, ob ich mit dem Tausch zufrieden gewesen wäre?“

„Ich denke doch, und wenn Sie selber erst nicht gewollt hätten, würden Sie mir es denn verwehrt haben, wenn ich Sie recht darum gebeten hätte?“

„Wenn Sie freilich ein Paar so bittende Augen dazu gemacht hätten, wie jetzt, wäre mir das Verbieten wohl recht sauer geworden. Wenn die beiden Alfrede diese Augen gesehen hätten!“

„Aber ein klein wenig schlimm sind Sie doch — nun, am Sonnabend! Und über Ihren Brief — hier ist er! — breite ich alle Hände!“

Wolfgang reichte ihr die Hand hin — sie drückte sie stumm und huschte zur Thür hinaus und die Treppe hinab.

*          *          *

In der letzten Woche des alten und in der ersten des neuen Jahres hatte sich in dem sonst so stillen Städtchen ein ungewohntes, reges politisches Leben entwickelt. Die Spalten des dreimal wöchentlich erscheinenden Wochenblatts füllten sich mit Ausrufen und Annoncen, die sich auf die bevorstehende Reichstagswahl bezogen, und die Konservativen und Nationalliberalen, denen die Kulturkampf-Begeisterung als Bindemittel diente, setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um die Wahl eines Centrumsmannes zu hintertreiben. Dieser Preßkrieg, der die regelmäßige Einnahme für Annoncen vervierfachte, war so recht nach dem Sinne des Verlegers des Wochenblatts, und schmunzelnd sah er die eingelaufenen Annoncen durch und schied die offiziellen Erlasse der Wahlkomitees von dem Geplänkel der Franktireurs, die auf eigene Faust und Verantwortung zu handeln schienen, häufig aber nur fremde, hochoffizielle Bolzen verschossen. Für unseren Freund Krone war freilich dieser ganze Krieg bei weitem nicht so amüsant; jedes plumpe und durchsichtige, jedes hinterlistige und heimtückische Manöver beider Parteien erfüllte ihn mit stummem Ingrimm, der sich in drastischen Verwünschungen Luft machte;

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_197.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)