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Meiling ausgenommen, doch niemand meiner gedenken, das heißt, die Männer nehme ich aus, aber die bekränzen ihre Bilder nicht.“

Die Kleine schüttelte bestimmt den Kopf.

„Das ist aber ganz gewiß eine Einbildung von Ihnen. Ich weiß, daß eine Dame wenigstens mich um dieses Bild beneiden würde, wenn sie es zu sehen bekäme, und am Ende werde ich es vor ihr verstecken müssen.“

„Ich will nicht wissen, wen Sie meinen, aber ich nehme Ihnen das Bild wieder weg, wenn Sie es der Gefahr aussetzen, von dieser Dame gesehen zu werden. Das darf nicht sein.“

„Nun, die paar Wochen kann es ja im Kasten kampieren, wenn Sie so wollen; aber, nicht wahr, nun nehmen Sie mir das Bild auch nicht wieder weg?“

„Die paar Wochen? Wie meinen Sie das?“

„Das kann ich Ihnen nun leider nicht sagen, aber — bloß jetzt nicht. Erfahren werden Sie es noch, am Sonnabend abend auf dem Bahnhof.“

„Nun, das ist mir aber hübsch! Geheimnisse, vor mir, der Ihnen einen so ernsten Auftrag anvertraut?“

„Sie sagen ernst? Ist die Besorgung eines Briefes etwas so ernstes?“

„Unter Umständen — ja; zum Beispiel wenn der Brief sehr ernste Fragen betrifft. Und ist es denn nicht schon ernst zu nehmen, wenn ich Ihnen zumute, drei Tage lang einen versiegelten Brief zu hüten? Sie sind zwar meine kleine Verbündete, aber doch immerhin ein Mädchen, und ich bin vielleicht doch unvorsichtig, wenn ich mich auf Sie verlasse.“

Wolfgang war aus dem leichten scherzenden Ton plötzlich wieder in seinen ernstesten verfallen, und die Kleine erwiderte, ebenfalls im Tone des aufrichtigsten Ernstes:

„Gott weiß, Herr Hammer, was für eine Bewandtnis es mit dem Briefe hat, aber Sie sind gewiß nicht unvorsichtig, wenn Sie fest auf mich vertrauen; ich beiße mir eher den kleinen Finger ab, ehe ich nur im kleinsten gegen Ihren Befehl verstoße, und wenn er nicht gewissenhaft ausgeführt wird, so wage ich es auch nicht, Ihnen je wieder unter die Augen zu treten, und ich muß doch am Sonnabend noch einmal auf dem Bahnhof sein, um Ihnen Lebewohl zu sagen —“

„Und mich in Ihr Geheimnis einzuweihen, über das ich nicht nachdenke, weil ich mich überraschen lassen will.“

„Ach ja, denken Sie nicht darüber nach, sonst kämen Sie am Ende auf das Richtige und ich möchte Ihnen doch noch eine kleine Abschiedsfreude bereiten.“

„Das wird einen doppelten Wert für mich haben, ich gehe ja schweren Herzens und kann einen kleinen Lichtstrahl der Freude brauchen.“

„Sie gehen schweren Herzens, aber Sie gehen doch; was gäbe ich darum, wenn ich Ihnen helfen könnte!“

Diesmal können Sie's freilich nicht, und wie das alles zusammenhängt

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)