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Privatbriefe von der Post abholen, auch die Briefe an seine Damen gingen durch seine Hände, und das durfte bei diesem Briefe nicht geschehen. Es war sowohl ein tiefer Widerwille dagegen, die Neugierde seines Chefs wachzurufen, als eine letzte zarte Rücksichtnahme auf Martha, die ihn bestimmten, diesen Weg zu verwerfen.

Da besann er sich auf Anna. Sie war ihm einige Tage vorher begegnet und hatte ihm erzählt, daß Frau von Larisch sie bei ihrer Abreise zurückgelassen habe, da Fräulein Emmy sie gebeten habe, ihr das Mädchen, an das sie sich selber gewöhnt hätte, zu lassen; Frau von Larisch sei ziemlich bereitwillig darauf eingegangen, und sie selber sei eigentlich recht einverstanden damit gewesen, in M. zu bleiben. Sie hatte das mit einem gewissen Stocken der Stimme und erst nach einigem Zaudern gesagt, aber Wolfgang war wenig in der Stimmung gewesen, darauf zu achten und Schlüsse daraus zu ziehen. Es hatte keine Schwierigkeiten, der Kleinen durch Frau Meiling, die mit den Verwandten des Mädchens bekannt war, am nächsten Tage ein paar Zeilen zuzustellen, durch die er sie um einen Besuch bat: er habe „seine kleine, treue Bundesgenossin“ um einen letzten Dienst zu bitten.

Anna fand sich, halb erwartungsvoll, halb bestürzt an demselben Abend bei ihm ein und Wolfgang empfing sie mit einem freundlichen: „Das ist hübsch — auf Sie kann man sich wenigstens verlassen.“

Aber die Kleine kam ihm durch ein unruhiges: „Warum haben Sie „letzten“ Dienst geschrieben? Sie wollen doch nicht etwa fort?“ zuvor.

„Wie scharfsinnig Sie sind! Sie haben es erraten — ich muß. Aber zuvor habe ich noch eine Bitte an Sie, die Sie mir nicht abschlagen dürfen.“

„Mit dem „nicht dürfen“ werden Sie wohl mehr recht haben, als mit dem „fort müssen.“

„Als wenn ich mich so leicht zwingen ließe! Warten Sie nur noch ein paar Tage, dann werden Sie selber sagen, daß ich gar keine Wahl hatte, und wenn Sie mir eine kleine Freude machen wollen, so bringen Sie mir noch eine Photographie, ich möchte doch ein Bild von Ihnen haben, schon weil Sie beim Krawall so klug und tapfer gewesen sind.“

„Ach Gott, Herr Hammer, ich habe ja keine, und wenn ich mich erst schnell noch wollte abnehmen lassen, so geht das auch wieder nicht; ich bekomme mein neues Kleid erst Ende nächster Woche. Doch ich kann Ihnen das Bild ja nachschicken; aber ist es denn nur wirklich wahr, wollen und müssen Sie wirklich fort?“

Wolfgang mußte über die Toilettensorgen der Kleinen lächeln, aber schnell wieder ernst werdend erwiderte er:

„Nun ich kann Ihnen eine Adresse geben; mein Freund“ (und er kritzelte dessen Adresse auf ein Blättchen Papier) „weiß mich dann schon zu finden, denn wohin ich verschlagen werde, darüber habe ich selber kaum eine Vermutung. Ich reise am Sonnabend abend ab, und meine Bitte geht nun dahin, diesen Brief unter vier Augen an seine Adresse gelangen zu lassen, nachdem Sie gewiß wissen, daß ich seit vierundzwanzig Stunden

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_193.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)