Seite:Ein verlorener Posten 192.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

schmerzlichen Bilde, über das wir nun einen dichten, grauen Schleier fallen lassen wollen.

So ist denn alles, alles aus, und wir dürfen uns nie Wiedersehen. Die Lebensbahnen, die monatelang in eine zusammenlaufen zu wollen schienen, trennen sich für immer — ob wir beide jetzt schon so recht wissen, wie traurig das ist? Lassen Sie mich hoffen, daß Sie nie in bitterer, nutzloser Reue an dieses Jahr Ihres Lebens zurückdenken, es wäre keine Genugthuung für mich, das denken zu müssen. Was aus mir wird, wohin ich gehe und wie ich innerlich über den Schlag, der mein Herz getroffen, hinauskomme, darüber habe ich zunächst nur Vermutungen. Ich will nicht mit der Versicherung schließen, daß ich nie wieder lieben werde, denn ich weiß, daß die Zeit, die alles heilende, solche Schwüre fast immer Lügen straft, aber ich kann Ihnen, was vielleicht ebensoviel ist, sagen, daß ich mir nicht denken kann, es werde mir je wieder Mut kommen, zu träumen, wie ich hier geträumt, seitdem mein Blick zum erstenmal dem Ihrigen begegnet war. Wie aber auch mein Geschick sich wenden möge — eins wenigstens dürfen Sie als sicher annehmen. Ich habe dem Schmerz der Enttäuschung meinen Tribut gezahlt, ich habe mir die Erklärungen abgerungen, die ich Ihnen nicht erlassen konnte, aber nun tritt die milde, melancholische Empfindung in ihr Recht; sie wird die herrschende bleiben, und ich werde keine Rückfälle in die alte Bitterkeit erleben. Ich werde ja oft genug an Sie denken müssen, im stillen Walde, in dunkler Nacht, auf öder Haide, aus nebelfeuchter Düne, aber ich werde Ihnen nicht nachtragen, was Sie, ohne die volle Tragweite Ihres Schrittes ermessen zu können, mir zugefügt haben.

Und mild, wie man der Toten sonst gedenkt Gedenk' ich Dein.

Lassen Sie das schwermütige Dichterwort auch meinen ernsten, weichen Scheidegruß sein!

Wolfgang Hammer.

So war der Brief geworden, so blieb er auch. Er war noch milder ausgefallen, als unser junger Freund sich ihn gedacht hatte, aber er war in dieser Form ein treuer Spiegel seines Empfindens, und es war ja nur wahr, wenn schließlich sein innerstes Empfinden zum Durchbruch gelangte: flutete es doch unter der starren Decke vorwurfsvollen Grolls still und stetig dahin, wie die Wasser des Stroms unter ihrem Panzer von Eis. Warum sollte er dieses Briefes sich schämen, warum ihn je bereuen?

Es entstand aber nun eine weitere Frage. Auf welchem Wege sollte er die Blätter in Marthas Hände bringen, welcher Weg bot unbedingte Sicherheit? Er konnte den Brief am Tage nach seiner Abreise auf irgend einer Station der Post überweisen, er konnte durch Rekommandation dafür sorgen, daß derselbe ungefährdet an seine Adresse gelangte, aber er konnte, wenn er sich für diesen einfachsten Ausweg entschied, nicht verhüten, daß wenigstens die Thatsache, daß er an Martha geschrieben hatte, im Hause bekannt ward. Der Kommerzienrat ließ alle Geschäfts- und

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_192.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)