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daß auch mir meine Ueberzeugungen höher stehen, als eine Neigung meines Herzens. „Wodurch“ — ich habe es hundertmal vorwurfsvoll gefragt — „hast Du den Verdacht erweckt, Du könntest Deiner Pflicht und Deiner Ehre vergessen?“ Und ich habe keine Antwort auf diese Frage gehabt und habe auch heute noch keine.

Sind die Menschen, denen Sie bisher auf Ihren Lebenswegen begegneten, denn alle armselige, schwung- und energielose Krämernaturen gewesen, sind Sie niemals wenigstens einem begegnet, auf dessen Stirn und in dessen Augen geschrieben stand, daß er für eine Idee kämpfen und zu leiden und notfalls zu sterben wisse? Wie klein muß ich Ihnen erschienen sein — ebenso klein und verächtlich, als Sie mir groß und edel erschienen.

Wem es zur Ueberzeugungssache geworden ist, daß des Mannes Ehre darin besteht, sich selber unter allen, auch unter den erschwerendsten Umständen und im Kampfe wider seines Herzens süßeste Regungen treu zu bleiben, der kann nicht schwanken; auch mir war mein Weg vom ersten Moment an scharf und klar vorgezeichnet, und ich habe nicht einmal erwogen, ob ich Sie nicht bestimmen könnte, Ihre Bedingungen zurückzunehmen. Wollten Sie es selber thun — was wäre mir damit geholfen? Wie ich nur aus dem Ganzen und Vollen leben kann, so kann ich auch nur aus dem Ganzen und Vollen lieben, und das — geht eben nicht mehr. Ich würde nicht zu vergessen vermögen, was Sie mir angesonnen haben, ich würde das volle Vertrauen nicht wieder finden und meiner Neigung schönste Blüte ist verwelkt. Aber glauben Sie mir: daß es so ist, daß ich Sie kleiner gefunden habe, als ich Sie mir geträumt, ist der herbste und bitterste Schmerz meines Lebens. Ich habe mir die redlichste Mühe gegeben, mir diese Wendung zu erklären und Sie zu entschuldigen, ich habe die anfängliche Bitterkeit überwunden und bin jetzt soweit, daß mir alle die harten Worte, die ich Ihnen sagen mußte, vielleicht weher thun, als sie Ihnen thun können. Sie mußten gesprochen werden, aber sie würden einem Manne, ja selbst jedem anderen Menschen gegenüber viel schärfer und härter ausgefallen sein, und selbst in der milden Form, die ich endlich gefunden habe, wollen sie mir noch grausam erscheinen — grausam, weil sie an Sie gerichtet sind. Es ist mir bitter leid um Sie, und ich habe dieses brennende Mitleid bisher nur unverschuldeter Not gegenüber empfunden, die ich nicht zu lindern vermochte.

Ich liefere Ihnen einen Beweis für die Wahrheit dieser Worte und gehorche zugleich einem plötzlichen Impuls, indem ich eine kleine poetische Geschichte meiner Neigung zu Ihnen, die ich erst vernichten und dann mindestens für mich behalten wollte, diesen Zeilen beifüge und indem ich den rehbraunen Handschuh behalte, der ein Unterpfand unserer Freundschaft war. Ich habe viele Tage geglaubt, ihn zurücksenden zu müssen — darf ich ihn als Andenken behalten, wie ich Ihnen als Andenken meine Verse überlasse? Sie kommen ja wohl bei dem Tausche nicht zu kurz, und es ist doch immer ein milder, versöhnlicher Zug in dem trüben,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_191.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)