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dürfen glaubten, kurz und schroff von der Hand gewiesen? Was will ich also noch von Ihnen?

Ich habe auch eine Zeitlang gemeint, daß jene Antwort vollauf genüge. Aber ich bin nach und nach auf andere Gedanken gekommen. Ein solche indirekte Erklärung ließe doch einzelne, vielleicht sogar wichtige Punkte dunkel, und es liegt mir daran, daß Sie den, der auf immer von Ihnen geht, so sehen, wie er ist; ich bin sogar geneigt, zu glauben, daß ich damit eine letzte Pflicht gegen Sie erfülle, nicht bloß eine Pflicht gegen mich selbst.

Ich würde mir nachträglich, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, die Behandlung verdienen, die ich erlitten habe, wäre ich im stande, Ihnen wider die Wahrheit und aus falschem Stolz zu sagen, daß ich kühl und ruhig, mit einem philosophischen Achselzucken und einem leichten Aufwerfen der Lippe, Ihnen und alle den Träumen, die an Sie sich knüpften, Lebewohl sage. Ich bleibe, der ich bin, auch wenn ich Ihnen, trotz alles Geschehenen, das mich wahrlich wie ein Blitz aus heiterm Himmel traf, freimütig bekenne, daß ich seit dem Abend, an welchem ein fast komischer Zufall unsere Bekanntschaft vermittelte, im Banne Ihres Wesens stand, daß ich Sie geliebt habe, obgleich der durch allerlei kleine Vorkommnisse verschärfte Gedanke an Ihren Reichtum das überwallende Gefühl immer wieder zurückdrängte, und daß ich, nach dem Abend im Schneesturm, im Begriff stand, Ihnen alle meine Zweifel und Bedenken, alle meine Qual und Unschlüssigkeit zu gestehen und Sie dann zu fragen, ob Sie mein Weib werden wollten, als die Eröffnungen, welche Sie mir durch den allerunglücklichsten Mittelsmann von der Welt vorbeugend zugehen ließen, alles zerstörten und zertrümmerten.

Rettungslos und für immer zertrümmerten! Je inniger ich Sie geliebt, desto bitterer und vernichtender war die Enttäuschung. Ich hatte in Ihnen die Verkörperung all meiner stillen Poetenträume gesehen, ich hatte mich nach Ihnen gesehnt, weil ich meinte, Sie würden meine stille, nachdenkliche, ernste Art und meine Liebe zur Poesie und zur Natur verstehen und sich an mich anschmiegen und ein sanfter Widerhall meiner selbst sein — und Sie ziehen einen kalten, illusionslosen, nüchternen Praktiker in das zarte Geheimnis dieser Neigung und fordern von mir als Vorbedingung einer günstigen Aufnahme meiner Bewerbung den Verzicht auf die Thätigkeit als Feuerwehrmann, den Verzicht auf meine Lehrerthätigkeit im Bildungsverein, den Verrat an allen meinen Ueberzeugungen und Idealen!

Es laufen so viele durch Gold und andere, feinere Formen der Bestechung gewonnene Renegaten in der Welt herum, daß ich den Plan, einen jungen Mann mit radikalen Anschauungen auf diesem Wege unschädlich zu machen, im allgemeinen „verflucht gescheit“ nennen muß. In diesem besonderen Falle war er freilich doch nur „herzlich dumm“. Es giebt Zumutungen, die einem echten Manne die Schamröte in die Wangen treiben und die innigste Liebe in Kälte, wo nicht Haß und Verachtung verwandeln können; es schmerzt mich, daß Sie nicht wußten und fühlten,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)