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Der eitle, innerlich rohe Glückspilz wußte freilich nicht, wie tödlich, wie unauslöschlich er ihn beleidigt hatte — was sind solchen Menschen Ueberzeugungen, Grundsätze und Gefühle? Aber einmal wenigstens sollte ihm bewiesen werden, daß es doch noch Menschen giebt, deren Heiligstes diese Ueberzeugungen, Grundsätze und Empfindungen sind und die es als eine ihnen angethane, blutige Beschimpfung auffassen, wenn man ihnen dieses Heiligste für schnödes Gold abschachern will, die aber auch das Zeug dazu besitzen, für diese Beschimpfung Rache zu nehmen und nebenbei ihre Stunde abzuwarten verstehen. Jeder Tag, der ihn der Stunde näher brachte, in der er dem Kommerzienrat indirekt, aber darum nicht weniger entschieden, sagen wollte, daß er sich kläglich geirrt und verrechnet habe, weil er diesen ideellen Faktor aus der Rechnung weggelassen hatte, wälzte einen Teil der Last, die ihm den Atem raubte, von seiner Brust und er drückte, die Faust ballend, die Fingernägel ins Fleisch und wiederholte sich wieder und wieder: „Geduld!“

Anders war es mit seinem Empfinden, soweit dasselbe Martha anging. Hatte er anfänglich auch ihr aufs bitterste gegrollt und ihr die heftigsten Vorwürfe gemacht, so war er mit jedem Tage milder geworden. Er hätte freilich nur die Achseln gezuckt und die Lippen verächtlich aufgeworfen, hätte ihm jemand von einer Aussöhnung, von einem Vergessen, Verschmerzen und Verwinden der namenlosen Kränkung gesprochen, die auch sie ihm zugefügt; zwischen ihnen war alles unwiderruflich aus und in seiner Seele klang es „Gewogen, gewogen und zu leicht befunden!“ Er vertrug an der, die er lieben sollte, keine Kleinlichkeit, keine Beschränktheit und Engherzigkeit, keinen Mangel an Zartgefühl, und in dem Augenblick, wo er diese Gebrechen an ihr entdeckte, verlor sie zwar nicht ihre sonstigen Vorzüge, aber es kam ein greller Mißton in die Melodie, der sie für ihn zerstörte und ihr allen Reiz und Wert nahm. Sie war vielleicht noch immer ein ganz liebes Geschöpf, aber sie war nicht mehr eine Geliebte für ihn, an der kein Fehl und Makel sein dürfte; sie hätte das, was sie gethan, nimmermehr thun dürfen, wenn er nicht aufhören sollte, sie zu lieben. Wie ein Glas, in das ein Sprung gekommen ist, kein helles Läuten mehr von sich giebt, sondern nur noch einen dumpfen Klang, so machte dieser eine Beweis dafür, daß sie doch nicht in jeder Beziehung war, was er geträumt, alles rettungslos zunichte. Aber war es denn nun gerecht, ihr zu grollen? Durfte er mit so strengem Maße messen? Was konnte sie dafür, daß er sie über die Gebühr idealisiert hatte und daß sie nun seinem Traumbilde nicht entsprach? Konnte sie, in engen, ungünstigen Verhältnissen und einer korrumpierenden Umgebung aufgewachsen, anders sein, als sie war?

Im Einklange damit hatte er anfänglich gemeint, es ihr gegenüber nicht bei der Antwort bewenden lassen zu dürfen, die er dem Kommerzienrat gab und die ja auch ihr galt; er hatte ihr in schonungslosen Worten auseinandersetzen wollen, daß und warum er ihre Bedingungen verwerfen müsse und ihr — „leichten Herzens“ natürlich und mit „kühlem Achselzucken“, wenn auch „beschämt über seinen Mangel an Scharfblick“

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_188.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)