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Vogel wie ihn einzufangen; er weidete sich im voraus an dem Bilde, das der Herr Kommerzienrat und seine vorsichtige Klientin in dem Augenblick darbieten würden, in dem er alle ihre klugen Pläne zu schanden machte — aber warum wollte nur das alles nicht so recht anschlagen, warum zuckte das arme Herz fort und fort? Er zürnte sich selber, er schalt und verhöhnte sich, er rief den Stolz zu Hilfe, der ihn schon über so vieles, hinweggehoben und emporgetragen hatte und von dem er hoffte, er werde sich gegen die unwürdige Schwäche empören, aber es blieb doch bei einer Halbheit, und alle Erbitterung und Entrüstung konnte nicht verhindern, daß er die Hände vor die Augen schlug und in hilflosem Weh stammelte: „Also auch sie, auch sie!“

So ward er hin und her geworfen zwischen dem leidenschaftlichen Grimm über die ihm angethane Schmach, über den rohen, brutalen Stoß, den man gegen sein Herz geführt, und zwischen der herzbrechenden Traurigkeit über die rettungslose Zertrümmerung und Verwüstung seiner schönen Welt, über den blutigen Hohn, der sein Lohn war für seine aufrichtige, uneigennützige Liebe, und als der Morgen des Wintertages durch die Scheiben hereindämmerte, saß er noch immer am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt und mit müden, erloschenen Augen vor sich hinstarrend. Die Lampe, deren Docht das Oel verzehrt hatte, glomm nur noch in mattem, unsicheren Schein und war nahe am Verlöschen, als er sich endlich noch für ein paar Stunden auf sein Lager warf. Er war so müde, daß er kaum noch eines klaren Gedankens fähig war, und doch wollten die schweren, schmerzenden Lider sich nicht schließen — und wie sehnte er sich nach Ruhe, nach Schlummer, nach noch so kurzem Vergessen! Am liebsten wäre er gar nicht wieder aufgewacht; was sollte er auch in einer Welt, die für all die rosigen Träume einer poetisch angelegten Natur nur trostlose Enttäuschungen hatte? Er hatte keine Anlage zum Pessimismus, aber in dieser schmerzensreichen Nacht legte er sich doch mit bleichen Lippen die Frage vor, ob die weichherzigen Träumer, die ohne ihre Illusionen nicht leben können, nicht vor Ekel und Abscheu sterben würden, wüßten sie, wie denn eigentlich die Welt und die Menschen sind, die sie durch gefärbte Gläser sehen müssen, um sie erträglich zu finden. War die Welt nicht für jeden einzelnen eine andere, war sie nicht vielleicht für jeden eben nur die Welt, die in seinem Auge sich spiegelte, und hing nicht alles von der Konstruktion dieses Auges ab? Und er spann den Faden dieses Gedankens, der ihm kam, als er sich wieder erhob, in trübem Sinnen immer weiter, und als er langsam und mit schleppendem Schritt ins Comptoir ging, war alles in ihm wie ausgebrannt, und ein leises Frösteln ließ seine Zähne aufeinander schlagen. Frau Meiling, an der er im Hausflur vorüberkam, fragte erschrocken:

„Aber, um Gotteswillen, Herr Hammer, wie sehen Sie aus? Sie sind ganz gewiß krank; wollen Sie sich nicht wieder zu Bett legen, soll ich nicht den Arzt holen? Was in aller Welt ist Ihnen denn nur zugestoßen?“

„Nicht, nichts, Frau Meiling!“ lautete die müde Antwort. „Und

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_184.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)