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Stunden ins Freie laufen? Der Schnee knirschte, die Sterne funkelten und flimmerten am tiefblauen, wolkenlosen Dezemberhimmel, und er liebte diese Nächte, aber er war wie zerbrochen und ging heim.

In seinem Zimmer war es, so traulich und warm; die Lampe mit dem grünen Schirm verbreitete ein gedämpftes, mildes Licht, die Theemaschine summte, und als er vor der Thür stand, hatte, ihn Prouds freudiges, leises Winseln begrüßt. Er klopfte das treue Tier auf den Kopf und sagte in einer Anwandlung grimmigen Humors:

„Ich kann dir nicht helfen, Proud, du mußt dich wieder einmal reisefertig machen. Gehst du wieder mit nach England? Frau Meiling und ihre Schinkenknochen werden dir freilich lange noch das Herz schwer machen und bei deinem Herrn ist auch nicht alles, wie es sein soll, aber das wird verwunden und der Kopf geht dabei nicht herunter.“

Aber er zuckte doch leicht zusammen, als sein Blick auf den Schreibtisch fiel — da hatte er sich ja schon am Mittag Briefpapier zurechtgelegt, und nun blieb sein erster Liebesbrief, der im Kopfe längst fertig war, doch ungeschrieben. Oder vielmehr — der Gedanke hatte durch den Kontrast etwas schmerzlich Pathetisches für ihn — auf den Bogen, auf dem er ein Bild von seinen inneren Kämpfen und seinem Sehnen und Zweifeln hatte entwerfen wollen, wollte er sich den eigenen Ausweisungsbefehl schreiben.

Jedenfalls kam er damit rascher zustande — derartige Befehle pflegen sich einer lakonischen Kürze zu befleißigen. Die drollige Formel österreichischer Ausweisungsbefehle, wonach man „aus den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern“ aus Gründen der öffentlichen Ordnung „abgeschafft“ wird, kam ihm in den Sinn, und er hatte für einen Moment den Einfall, einen solchen Befehl parodistisch auf seine Lage anzuwenden, aber mit dem Scherzen wollte es doch nicht so recht gehen, und so schrieb er denn kurz und knapp, wenn auch mit zuweilen versagenwollender Hand:

Alter Junge!

Die (zweifelhafte) Herrlichkeit hier hüben ist doch nur von kurzer Dauer gewesen. Ich habe eine bittere Lektion bekommen, eine gallbittere, und werde mich in wenig Tagen eigenhändig in die Luft sprengen. Es wird mir Ueberwindung genug kosten, auch solange noch auszuhalten, aber es ist eben doch noch so manches glatt zu machen, und da heißt es denn, die Zähne aufeinanderbeißen und still halten. Was passiert ist, kannst Du Dir in der Hauptsache an den Fingern abzählen; das Stück Poet in mir hat mir einen ganz ungeheuerlichen Possen gespielt, und bei dem Ausbrennen einer Wunde geht es denn nicht ohne Zuckungen ab. Ich werde Dir ja den bösen Roman in ein paar Wochen ausführlich mündlich erzählen, und für's erste genügt es, wenn Du weißt, daß ich bald wiederkomme, ohne weitere Anmeldung. Das Schreiben wird mir verzweifelt sauer, und wüßtest Du, was mir heute passiert ist, so bekämst Du vielleicht einen gelinden Respekt davor, daß ich überhaupt noch wie ein Mensch schreiben kann, von dem sich voraussetzen läßt, daß er seine

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_182.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)