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mehr die kaum geahnte Geriebenheit Wolfgangs ihm imponierte, für desto schlauer hielt er es, ihm die Konzessionen, zu denen die kommerzienrätliche Schlauheit ihn zwang, nicht unnötig zu erschweren, und so sagte er denn launig:

„Gut denn, obgleich ich natürlich für die etwaigen Folgen nicht aufkommen kann. Ich werde mir Mühe geben, Fräulein Hoyer Ihre sonderbare Bedingung in unverfänglichem Lichte darzustellen, und ich hoffe, daß mir das gelingen wird, aber je früher Sie Ihre Skrupel über Bord werfen, desto besser wird es jedenfalls sein.“

„Es ist mir so außerordentlich viel an diesem Aufschub gelegen, daß ich Ihnen für Ihre Güte gar nicht dankbar genug sein kann, und Sie können sich darauf verlassen, Herr Kommerzienrat, daß ich eine Antwort geben werde, die an Klarheit und Unzweideutigkeit nichts zu wünschen übrig läßt und deren Form vielleicht auch Sie überraschen wird. Ich bin mir über das Wie? noch nicht ganz klar, das eben soll sich in der Zwischenzeit finden. Sie können Fräulein Hoyer sagen, daß ich auch in diesem Falle ganz ich selber sein und daß sie mich bis auf den kleinsten Zug wiedererkennen würde.“

Wolfgang hatte das mit Zusammenfassung aller seelischen Kraft in einem möglichst verbindlichen und freundlichen Tone gesagt, indessen gebot er doch lange nicht über einen hinreichenden Fonds an Verstellungsgabe, und einen anderen, als gerade den Kommerzienrat, der jeden für einen Tollhäusler gehalten hätte, der sich ein so brillantes Geschäft entgehen ließ, würde diese mysteriöse Erklärung eher beunruhigt, als in Sicherheit gewiegt haben. Dieser deutete jedoch die Worte in seinem Sinne, und mit einem fast verschmitzten:

„Nun denn — gute Nacht, Herr Hammer, und wenn Ihnen ein alter Praktikus einen Rat geben darf, so machen Sie die Geschichte kurz!“ Verließ er das Comptoir.

Wolfgang sah ihm düster nach, bis die schweren Tritte verhallt waren, und wer ihm in die Augen gesehen hätte, der würde für die nächste Zukunft wenig Gutes geweissagt haben. Er sank dann wie gelähmt in seinen Sessel, die Arme suchten auf dem Pult eine Stütze und, beide Hände vor der fiebernden Stirn, saß er lange, lange mit geschlossenen Augen. Er wußte, was er zu thun hatte, und schon während der alle seine Träume vernichtenden Unterhaltung hatte er einen Entschluß gefaßt, der ihn mit einer Art von wilder Freude erfüllte, aber so ungeheuer jäh war die Enttäuschung gewesen, daß er sich erst jedes gewechselte Wort wieder ins Gedächtnis zurückrufen mußte. Und während dieses Sinnens zernagte er sich die Lippe, und eine schwere Thräne, aber eine Thräne des Zorns und der Scham, rollte über seine Wange, und er wischte sie hastig mit der Hand fort, als der Lehrling ins Zimmer trat und sich schüchtern erkundigte, ob er noch lange zu arbeiten gedächte.

Er fuhr aus seinem Sinnen und Brüten auf, gab ein einsilbiges: „Ich gehe sofort“ zurück und verließ hastig, als würden ihm im Freien andere Gedanken kommen, das Comptoir. Sollte er noch auf ein paar

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_181.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)