Seite:Ein verlorener Posten 180.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht sein. Alles, was Sie mir heute mitgeteilt haben, ist so überraschend und überwältigend über mich gekommen, ich war, was Sie auch glauben mögen, so wenig gefaßt auf solche Eröffnungen, ich habe bisher so wenig daran gedacht, meine Blicke zu Fräulein Hoyer zu erheben, daß ich erst wieder zu mir selber kommen muß. Fräulein Hoyer gegenüber erklären Sie die Verzögerung wohl damit, daß sie mir ja Bedingungen gestellt habe, von denen sie selbst glaubt, daß es mir ein Opfer kosten werde, sie zu erfüllen, und eventuell können Sie ihr ja auch sagen, daß man, wenn man in meiner Lage gewesen sei, Zeit brauche, sich an den Gedanken eines solchen Glücks zu gewöhnen. Auf keinen Fall aber thue ich einen Schritt, ohne ihn erwogen zu haben, und ich muß mir also eine Bedenkzeit ausbitten.“

Es war dem Kommerzienrat nicht entgangen, daß ein Widerspruch zwischen den Worten des jungen Mannes und seiner ganzen Haltung, sowie dem Klang seiner Stimme bestand, es war ihm sogar, als klinge etwas wie bitterster Hohn gerade durch die verbindlichsten Stellen, und das Verlangen einer Bedenkzeit ein so unerhörtes, ja beinahe lächerliches, daß er sich nur mühsam in die veränderte Lage fand. Die Geschichte war ihm entschieden nicht geheuer, aber was sollte man mit einem so sonderbaren Menschen anfangen? So fragte er denn beinahe kleinlaut:

„Und wie lange wollen Sie die Entscheidung aufschieben?“

„Binnen hier und spätestens drei Wochen erhalten Sie meine Erklärung; sie ist mir schon jetzt nicht zweifelhaft, indessen möchte ich erst mit mir selber ins Reine kommen, und ich glaube, die eigentümlichen Umstände rechtfertigen das Verlangen, dessen Ungewöhnlichkeit ich vollständig einsehe.“

Das klang schon wieder viel unbedenklicher, und die Menschenkenntnis des Kommerzienrats neigte überhaupt, nachdem die erste Bestürzung überwunden war, zu der Annahme, daß Wolfgang nur ein wenig Komödie spiele. Man mutete ihm im Grunde doch einen Abfall von seinen Ueberzeugungen zu, und war es denn nicht am Ende verzeihlich, obwohl herzlich überflüssig, daß er aus Scham und Stolz sich ein wenig sperrte und zierte, daß er sich stellte, als koste ihn der Entschluß, der ja wohl feststand, ernste Ueberwindung? Er konnte glauben, das einzige Aequivalent, das er für das Vermögen Martha Hoyers zu bieten hatte, durch ein scheinbares Zaudern und Schwanken wertvoller machen zu müssen, und diese harmlose Spiegelfechterei konnte man ihm ja am Ende gönnen. Daran, daß er lange vor Ablauf der erbetenen Frist sich beeilen würde, die Beute, nach der er aus Anstandsgefühl nicht sofort greifen mochte, einzuheimsen, konnte doch vernünftigerweise nicht gezweifelt werden, und so nahm denn der Kommerzienrat keinen Anstand, dem jungen Manne für seinen unvermeidlichen Rückzug die gewünschte goldene Brücke zu bauen. Je fester er davon überzeugt war, daß Wolfgang nur aus rein geschäftsmäßigen Erwägungen sich das alternde reiche Mädchen gekapert habe, was er ja für einen kleinen Meisterstreich hielt, dem er seine Bewunderung nicht versagen konnte, je

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_180.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)