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auf eine sehr weiße Haut, teils auf eine rastlose geistige Thätigkeit und ein vielbewegtes Gemütsleben schließen läßt und keineswegs den Eindruck des Krankhaften macht, ja sich bei den Damen, als „besonders interessant“ einer nicht geringen Beliebtheit erfreut und sich besonders gut ausnimmt, wenn eine leichte, flüchtige Röte über sie hingehaucht ist.

Breitet sich nun vollends über dieses blasse Gesicht ein Schleier von Müdigkeit und Schwermut, die ja für die Frauen auch noch den starken Reiz des Geheimnisvollen haben, so kann es unwiderstehlich sein und es ist eigentlich schade, daß Frau v. Larisch ihren Günstling nicht sehen kann, wie er die Reste seines Mahls zur Seite schiebt, sich lässig eine Cigarre anbrennt und den blauen Ringen nachdenklich nachblickt, als studiere er die Gesetze ihres Entstehens und Zerfließens. Plötzlich steht er, wie von einem neuen Gedanken beherrscht, rasch auf, setzt sich an den Schreibtisch und legt die Cigarre weg. Die Feder fließt über den weißen Oktavbogen und es scheint für ihn weder ein Sichbesinnen noch ein Sichverbessern zu geben. Wollen wir ihm über die Schultern sehen? Er schreibt das kleinste und zierlichste Händchen, das je aus einer Damenfeder kam, aber wie flüchtig die Schrift auch ist, wie sie auch alle Abkürzungen sich dienstbar macht und sogar, wo ihr Dasein nicht zur Verhütung eines Mißverständnisses nötig ist, alle die Strichelchen, Häkchen und Pünktchen ausläßt, die uns Deutschen so viel Zeit kosten, - sie hat doch einen männlichen Charakter. Sie ist so regelmäßig, so klar und scharf, daß sie das Lob einer großen Leserlichkeit verdient und wir nicht die mindeste Mühe haben, folgenden Brief Zeile für Zeile entstehen zu sehen:

Alte, gute, treue Haut!

Du hast in Deinem Leben viel Beredsamkeit daran verschwendet, in mir den Glauben zu erwecken, daß ich die Gabe besitze, neue Menschen und neue Verhältnisse sofort richtig zu beurteilen. Ich habe Dir zugeben müssen, - daß ich in der That kaum je in die Lage kam, das Urteil, das sich aus meine ersten Eindrücke stützte, späterhin modifizieren zu müssen, aber dennoch blieb mein Mißtrauen wider erste Eindrücke unauslöschlich, und ich konnte mich nie von der Furcht emancipieren, durch vorschnelles Urteilen mich einer Leichtfertigkeit schuldig zu machen und nicht minder einer Ungerechtigkeit. Nenne es immerhin Pedanterie in meinen Adern fließt deutsches Gelehrtenblut und es wäre doch seltsam, wenn mir davon her nicht eine Dosis dieser urdeutschen Eigenschaft anklebte. So habe ich denn mit einem Urteil über meine neuen Verhältnisse auf dem Boden der Heimat bis heute gezögert, obwohl ich Dir gestehen muß, daß ich diesen Brief nach den ersten drei Tagen nur unerheblich anders geschrieben haben würde; was Du meine „weibliche Sensitivität“ zu nennen beliebst, hätte sich also wieder bewährt. Der Pedant in mir konstatiert freilich, daß dieser Brief zwar kein Stimmungsbrief ist, daß ich aber etwas erschöpft bin und an einem melancholischen Abend schreibe, zwei Dinge, die bei mir zu allen Zeiten

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_18.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)