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ihrer Seele, und da ich nicht in Abrede stellen konnte, daß allerdings verschiedene Ihrer Handlungen, wenngleich gewiß aus ganz anderen Motiven hervorgegangen, Sie dem Verdacht aussetzen, derartige Sympathien zu hegen, so ist es ihr am Ende nicht zu verargen, wenn sie verlangt, daß Sie überhaupt jeden Verkehr mit den Arbeitern abbrechen, der einem solchen, für sie furchtbar peinlichen Gerücht neue Nahrung geben könnte. Ich habe ihr vorgestellt, daß Sie viel zu vernünftig seien, um derartige hirnverbrannte Ideen zu teilen, und daß überdies, wenn Sie nur erst ein Kapitalist geworden seien, Ihr eigenes Interesse Sie vor allen derartigen schwärmerischen Extravaganzen behüten würde, aber sie war nicht von ihrer fast abergläubischen Furcht zu kurieren und behauptet, sie könne Ihnen nur dann die Hand reichen, wenn sie volle Beruhigung über diesen Punkt hätte. Die Wohlthätigkeit, die eine Pflicht des Reichtums ist — noblesse oblige — werde sie nach wie vor üben, Sie sollten sich principiell jeden Umgangs mit den Leuten enthalten, der nach dem Vorausgegangenen falsch gedeutet[WS 1] werden könnte. Ich denke, als verständiger Mann werden Sie sich lächelnd auch über diesen Punkt beruhigen, aber Sie sehen wohl ein, daß sie nicht selbst darüber mit Ihnen reden mochte.“

Es entstand eine fatale, beklemmende Pause. Wolfgang antwortete nicht, sondern starrte finster und wie betäubt vor sich hin, während er die spitze, scharfe Klinge des Radiermessers mechanisch wieder und wieder in die Ledermappe stieß, die als Unterlage auf seinem Pulte lag. Als nun der Kommerzienrat, um die verlegene Situation zu beendigen, mit erzwungener Jovilaität sagte:

„So nun wären die wichtigsten Bedingungen heraus und Sie lachen wohl mit mir über diese Frauenzimmer-Bedenklichkeiten. Jedenfalls wissen Sie nun, unter welchen Bedingungen Sie sich morgen das „Ja“ einer zärtlich-besorgten Braut holen, obgleich diese Bedingungen selbstverständlich mit keinem Wort berührt werden. Hahaha, Liebesleute, die über so trockene und nüchterne Dinge sich unterhalten, als wenn sie nichts besseres zu thun hätten und als wenn es nicht viel genußreicher wäre, sich ans „Du“ zu gewöhnen! Wann gedenken Sie zu kommen? Es wäre doch gut, wenn man es vorher wüßte, so daß es sich so einrichten läßt, daß Sie Fräulein Hoyer allein treffen. Halten Sie es denn bis zum Abend aus? Man war doch auch einmal dreißig Jahre und weiß noch, wie man da die Minuten gezählt hat!“

Der Kommerzienrat war seiner Sache jetzt vollkommen sicher, und so war er denn[WS 2] doppelt betreten über den harten, düsteren, einen gewaltsamen Entschluß verratenden Blick, den Wolfgang, wie aus langem Brüten aufwachend, zu ihm aufschlug, über die Fahlheit und Regungslosigkeit seiner Züge, über den trotzigen Ausdruck der fest aufeinander gepreßten Lippen. Es war, als habe Wolfgangs Stimme, trotz seines gewaltsamen Ringens nach Fassung, Selbstbeherrschung, allen Klang verloren, als er erwiderte:

„Ich bin nie so ungeduldig gewesen und werde es diesmal bestimmt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gedeute
  2. Vorlage: den
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)