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sie hatte doch kaum daran gedacht, daß das liebe Fest so nahe war, hatte sie sich in diesen Tagen doch immer doppelt einsam und verlassen gefühlt.

Es kam Wolfgang am nächsten Tage hart an, daß die Nähe des Jahresschlusses ihn zwang, sich mit mancherlei Vorbereitungen auf die Inventur zu beschäftigen und länger als sonst im Comptoir auszuhalten. Das übrige Personal hatte sich längst entfernt und ihn bei seinen Büchern allein gelassen; er stand eben im Begriff, sie zuzuschlagen und nach Hause zu gehen, um an Martha zu schreiben (er hatte sich bei Frau Meiling Thee bestellt und gedachte, notfalls die ganze Nacht schreibend zu verbringen), als der Kommerzienrat, ganz wider seine Gewohnheit, noch einmal ins Comptoir zurückkam; er hatte angeblich seine Pultschlüssel stecken lassen und wollte sie holen. Mit einer Kordialität, die ihn eine gewisse Ueberwindung kostete, brachte er Wolfgang eine Handvoll echt Importierter und meinte freundlich:

„Nehmen Sie, Herr Hammer — hochfeines Kraut! Herrnhuter Fabrikat — so ziemlich das beste, was es giebt. Aber Sie sind ja Kenner und bei einer reellen Havanna arbeitet es sich noch einmal so gut. Warum lassen Sie sich übrigens nicht helfen? Sie brauchen nicht alles allein zu machen.“

Wolfgang war ziemlich überrascht, — was fiel nur seinem Chef ein? Ruhig erwiderte er:

„Ehe ich jemandem weitläufige Erklärungen gebe und ihn dann auch noch kontrolliere, nehme ich die Arbeit lieber selber vor; ich komme dabei rascher zu stande und bin meiner Sache sicherer.“

, Herr Reischach klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter und sagte: „Immer der Alte! Immer: „Selbst ist der Mann!“ Man trifft solche Grundsätze selten, und ich ehre und achte sie. Sie wissen, ich mache nicht viel Worte, aber ich habe mich schon oft über Sie gefreut und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß Sie bei mir einen Stein im Brette haben. Es verschlägt nichts, daß Sie nebenbei auch ein kleiner Tausendsassa sind, der den Mädchen die Köpfe verdreht und allerlei seltsame Geschichten anrichtet.“

Wolfgang ward betreten; dieser Ton berührte ihn unangenehm, und er konnte nicht einmal absehen, wo das hinaus sollte.

„In diesem Augenblick verstehe ich Sie nicht, Herr Kommerzienrat; Sie müssen wohl oder übel falsch berichtet worden sein, denn ich wüßte nicht, auf welche thatsächliche Unterlage sich diese scherzhafte Anspielung stützen könnte.“

„Nun seh einmal einer an, wie unschuldig er sich stellen kann! Als ob er kein Wässerchen getrübt hätte, und doch weiß ich sehr genau, daß ich nicht zu viel gesagt habe und daß man gegen eine, die man wohl kennen wird, entschieden liebenswürdiger gewesen ist, als nötig gewesen wäre. Ich kenne diese eine sehr genau und weiß, daß das Malheur ziemlich groß ist.“

Ein jäher Verdacht stieg in Wolfgang auf; er errötete tief und das Wort starb ihm auf der Lippe.

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_175.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)