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Opfer seinen inneren Wert nehmen. Und dann fiel ihr ein, das sie ja unbedingt Marthas erste Brautjungfer werden mußte, und während sie vor Rührung über die eigene Entsagungsfähigkeit ein paar kleine Thränen vergoß, dachte sie an ihre Toilette und fragte sich, ob sie Meergrün oder Blaßrosa wählen, ob sie Fuchsien oder Oleander ins Haar flechten solle, ob ihr Vorrat an weißen Glaces auch ausreichen werde und ob Martha nicht besser thue, statt weißen Mull lieber farbige Seide zu wählen; sie war doch am Ende in den Jahren, in denen man keine Ansprüche mehr darauf macht, zu den jungen Mädchen gerechnet zu werden, und daher durch weißen Mull oder Rips nur die Spottlust herausfordert.

Unser Freund Wolfgang war freilich sehr weit entfernt davon, Gedichte an Fräulein Emmy Reischach zu richten, wenngleich sie bis zu einem gewissen Grade das Richtige getroffen hatte, als sie sich ihn mit Versen beschäftigt dachte. Er war wie ein Trunkener nach Hause gekommen, hatte Frau Meiling ziemlich zerstreute und konfuse Antworten gegeben und sein Abendessen gar nicht berührt. Die Arme auf der Brust verschränkt, als vermöge er auf diese Weise den Tumult in seiner Brust zu unterdrücken, ging er lange, lange mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, sich im einen Augenblick mit Vorwürfen über seine Selbstvergessenheit überhäufend und im nächsten diese Selbstvergessenheit segnend. Sie hatte ja das Eis gebrochen, den Damm zerrissen, dem Schwanken und Zweifeln ein Ende gemacht; er mußte nun handeln, gerade und ehrlich handeln, und zwar ohne weiteren Aufschub. Martha Hoyer erwartete jetzt eine offene Erklärung und sie hatte ein Recht, sie zu erwarten. Er wollte sie geben, schriftlich geben, denn wieviel hatte er zu sagen, wie viele Fragen aufzuwerfen, wie viele Erklärungen abzugeben, wie viele Bedenken und vielleicht auch Vorurteile aus dem Wege zu räumen! Das war mündlich nicht möglich, und es war ihm lieb, daß ihm die Umstände eine briefliche Erklärung aufnötigten und die mündliche ausschlossen.

Es war ihm gar nicht bange vor diesem Brief; sollte es doch kein Brief voll diplomatischer Reserven, voll studierter Kunstgriffe werden, sondern eine gewissenhafte Beichte all seiner Skrupel und Bedenklichkeiten, ein Ausströmen des lange unterdrückten und niedergehaltenen Gefühls. Nichts, nichts wollte er ihr verheimlichen, nichts vertuschen und bemänteln, nichts färben und fälschen; er wollte sich geben, wie er war und er hatte das stolze Vertrauen, daß sie ihn so, wie er war, inniger lieben würde, als hätte er ihr ein gefälliges Phantasiebild vorgeführt. Wie er sich diese stille Martha dachte, ließ sie sich überhaupt nicht täuschen und durchschaute mit scharfem Blick jeden Versuch, ihr für die lebenswarme Wirklichkeit einen schönen Schein zu geben. Es kam ihm, als er im Geiste diesen lösenden und bindenden Brief sich entwarf, der Einfall, zu prüfen, ob sich nicht alle Phasen seiner Neigung für Martha in dem Heftchen spiegelten, das seine in M. entstandenen Gedichte enthielt; es zog ihn mit Allgewalt zu diesen Versen, und als er das kleine Heft durchblätterte, lagerten sich bald tiefe Schatten auf seinem Gesicht, und

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)