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eines Frauenherzens zu verstehen und angemessen zu behandeln, bestärken würde. Sie begnügte sich also mit einem leichten, vieldeutigen Achselzucken und packte ihre Plisséstickerei zusammen, um ihr Zimmer aufzusuchen.

„Viel Glück also, Papa, zu Deiner zarten Mission!“ sagte sie scherzend noch in der Thür; sie sah nicht mehr, wie verschmitzt Papa vor sich hin schmunzelte. Er war seiner Sache ja ganz sicher, und als er nach seinem Zimmer ging, um dort noch eine Cigarre zu rauchen, schnipste er vergnügt und im Vorgenuß einer für ihn humoristischen Situation mit den Fingern der fleischigen Rechten und murmelte vor sich hin: „Was werden Sie für Augen machen, Herr Hammer, und wie hastig werden Sie zugreifen, wie gern Ihren unpraktischen Träumereien entsagen, um für sie ein solides Glück einzutauschen! Wie solid dieses Glück ist, davon haben Sie schwerlich auch nur eine annähernde Vorstellung. Als armer Teufel gehen Sie heute zu Bett und morgen abend sind Sie ein gemachter Mann; es wird nicht jedem so bequem gemacht, und wie lange hat es gedauert, bis ich mit Hängen und Würgen es soweit gebracht hatte.“

Fräulein Emmy brauchte längere Zeit als sonst zu ihrer Nachttoilette. Eine nahe bevorstehende Verlobung im nächsten Kreise der Verwandtschaft oder Bekanntschaft hat ja unter allen Umständen etwas Aufregendes für alle junge Mädchen dieses Kreises, und hier handelte es sich beinahe um eine ältere Schwester, um deren Zukunft man schon recht besorgt gewesen war. Und es war ja außerdem ein wahrhaft kleiner Roman, der sich seinem fröhlichen Ende zuneigte und in dem sie selber eine erhebende und rührende Rolle spielte. Wie groß und edelherzig, wie uneigennützig und selbstverleugnend war es von ihr, daß sie Martha den zuführte, der eigentlich ihr gehörte, der sie scheu und aus der Ferne im stillen anbetete, der seine Augen nicht zu ihr zu erheben wagte! Er konnte längst ihr Verlobter sein, wenn er nur ein wenig kühner und sie ein wenig entgegenkommender war, wenn sie nicht lieber die Muse, als die Frau eines Dichters ward; er dichtete vielleicht schwärmerisch- melancholische Stanzen an sie in demselben Augenblick, in welchem sie auf ihn verzichtete, um eine andere durch seine Hand zu beglücken. Ach ja, das war wieder einmal ein Ausfluß jener wunderbaren Erhabenheit und Seelengüte, die dem Frauenherzen eigen ist und die ihre Opfer im stillen bringt und mit blutendem Herzen lächelt, weil sie andere glücklich sieht, ein Ausfluß jener Entsagungsfähigkeit, von der die Männer nichts ahnen und an die sie nicht glauben, weil sie sich ihnen nicht aufdrängt, und an die sie nicht würden glauben mögen, auch wenn sie sich ihnen täglich vor Augen stellte, weil sie dann vor den Frauen ehrfürchtig und bewundernd die Knie beugen müßten. Niemand, niemand, auch Wolfgang und Martha nicht, erfuhren je, was sie gethan und wie edel und selbstlos sie handelte; ja, sich selbst wagte sie — rührende Demut des Frauenherzens! — kaum zu gestehen, wie schön dieser stille, schweigende Heroismus war. Sie wollte ja nicht durch Eitelkeit und Stolz diesem

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_172.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)