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Das war also gerade der männliche Dünkel, den Emmy hatte bekämpfen wollen. Mit mehr Eifer als Besonnenheit erwiderte sie:

„Nun ja, wir — ich meine auch Leontine — haben natürlich die Augen nur dazu im Kopfe, um nichts zu sehen, oder doch nur das, was wir sehen wollen. Eine Frau und ein Mädchen haben eben kein Urteilsvermögen, und wenn sie etwas wissen wollen, so haben sie sich nur etwas eingebildet.“

„Aber Kind, was fällt Dir denn ein? Du thust ja gerade, als hätte ich Dich beleidigen wollen, und doch glaube ich es Dir ganz gern, daß sich zwischen Martha und dem Herrn Hammer etwas angesponnen hat; es würde mich sogar interessieren, genaues darüber zu erfahren, denn ich glaube fast, hier müßte jemand vermitteln, wenn die beiden zusammenkommen sollen; Hammer wird eben nicht den Mut haben, seine Bewerbung anzubringen, und so können sie noch lange nebeneinander herlaufen und sich nacheinander sehnen und alle erdenklichen Umstände machen und die Zeit vergeuden.“

Emmy lachte. „Allerdings, Papa, langweilig wird die Geschichte, und Martha sollte vielleicht Herrn Hammer einige Avancen machen. Aber sie ist so verliebt, so schrecklich verliebt, daß sie ganz unpraktisch zu Werke geht, und das kann noch lange so gehen, wenn Herr Hammer sich nicht ein Herz faßt.“

Es fiel dem praktischen Kommerzienrat gar nicht ein, zu fragen, ob denn auch Wolfgang „schrecklich verliebt“ sei; er meinte wohl, das sei überhaupt nicht nötig, und man könne sich eine Bewerbung um Martha auch ohne eine eigentliche Liebesneigung genügend erklären. Er lächelte überlegen und ein wenig ironisch, als Emmy fortfuhr:

„Es ist übrigens hübsch, daß Martha noch einen Mann bekommt, der sie liebt; Herr Hammer ist ja auch ein ganz netter Mann und hat sie sehr, sehr gern.“

Herr Reischach mokierte sich im stillen über diese mädchenhafte romantische Schwärmerei, nahm sie aber gelassen hin und sagte:

„Nun, ich werde mir den Fall überlegen und dann die nötigen Schritte thun; ich hoffe, die wunderliche Geschichte soll rasch ins Reine kommen.“

„Aber Papa, wirst Du es denn auch zart und vorsichtig genug anfangen?“ wendete Emmy nach einigem Zögern ein. Sie war in der That sehr geneigt, zu glauben, daß Papa sich eben nicht besonders zum Heiratsvermittler qualifiziere.

„Papperlapapp, Kind; ich habe schon zartere Angelegenheiten geregelt und selbst mit Martha wollte ich fertig werden, wieviel mehr mit einem jungen Manne.“

Und er lächelte so selbstbewußt und überlegen, daß seine Tochter, die seine Schwächen aufs Haar kannte, Bedenken trug, weitere Zweifel zu äußern, wennschon es ihr keineswegs unmöglich schien, daß der kluge Herr Papa kläglich Schiffbruch leiden und sie in dem Glauben an das Dogma von der Unfähigkeit der Männernatur, die tieferen Empfindungen

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_171.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)