Seite:Ein verlorener Posten 170.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und eine tiefe, brennende Röte überflutete ihr Gesicht bis herab zum Halse.

„Sei nicht böse, Martha,“ flüsterte Emmy wieder. „Es kam mir aber so vor, und Du weißt doch, daß mir das Herz auf der Zunge sitzt. Uebrigens, was wäre denn weiter Schlimmes dabei? Oder ist meine Vermutung denn gar so unwahrscheinlich und könnte es denn nicht so gewesen sein? Hat er Dich nicht immer ausgezeichnet und — siehst Du ihn etwa nicht gern?“

„Ich liebe die Scherze über so ernste Dinge nicht!“ erwiderte Martha, die sich rasch gefaßt hatte, und damit ließen sie das verfängliche Thema fallen.

Der Kommerzienrat hatte sich mit halbgeschlossenen Augen in die schwellenden Divankissen zurückgelegt und verriet durch nichts, daß er auch nur eine Silbe von den geflüsterten Worten vernahm.

Dennoch war ihm keine Silbe entgangen, und es gingen ihm allerlei blendende Lichter auf. Der alte Praktikus verriet dies allerdings nicht, als sich jedoch Martha, Müdigkeit vorschützend, zurückgezogen hatte, um ihr Zimmer aufzusuchen, sagte er unbefangen und harmlos zu Emmy:

„Apropos, was habt Ihr denn vorhin über Hammer verhandelt? Darf man dies wissen oder ist es ein Geheimnis?“

Die Kleine war ein wenig betreten und es war ihr eigentlich nicht lieb, von Marthas gemutmaßter zarter Neigung sprechen zu sollen. Doch sie hatte wenige Tage vorher wieder eine von den Novellen aus weiblicher Feder gelesen, die von der Ueberzeugung diktiert sind, daß die Männer das so unendlich viel sensitivere und scharfsichtigere weibliche Geschlecht in unwürdiger Vormundschaft zu erhalten suchen und es von oben herab und ohne die ihm gebührende Achtung behandeln, und daß sie ohne jede Ahnung von dem reichen, ehrwürdigen und rührend-lieblichen Seelenleben ihrer Frauen und Töchter und Schwestern sind; es reizte sie, ihrem Herrn Papa, der vielleicht auch ein solcher Tyrann war (wer konnte es wissen? Diese Männer verstecken unter ihrer Galanterie vielleicht nur die hochmütige Nichtachtung, mit der sie auf die Frauen herabblicken — es ist abscheulich!), den Nachweis zu führen, daß sich unter seinen Augen ein förmlicher kleiner Roman abgespielt habe, ohne daß er auch nur eine blasse Ahnung davon bekam, und ihm dann zu sagen: „Nicht wahr, ein Mann ist doch nicht klug genug, um alles zu durchschauen, und wir Frauen geben ihnen trotz unserer „Inferiorität“ noch allerlei Rätsel auf?“ Sie sagte also ziemlich spöttisch und übermütig:

„Also jetzt fällt Dir endlich etwas auf und auch nur, weil wir zu laut und unvorsichtig gewesen sind? Und doch haben wir anderen längst Bescheid gewußt, ohne daß uns Martha ein Wort gesagt hätte. Das ist wirklich amüsant, und am Ende könnte ich mich ebenfalls verlieben, ohne daß Du etwas davon merktest.“

„Ah bah — Einbildungen! Was ihr nicht alles zu wissen glaubt! Manchmal mögt ihr ja recht haben, aber noch viel häufiger vergallopiert ihr euch.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_170.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)