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die erleuchtete Treppe zu seiner Wohnung emporstieg; es war gerade, als sei er noch einige Zoll gewachsen, und die ganze Welt erschien ihm im rosigsten Lichte. War sie denn auch nicht eine Welt, in der es kordiale, einflußreiche Landräte und mehr Orden gab, als die sämtlichen Knopflöcher eines eitlen Kommerzienrats zu fassen vermögen? —

Im Wohnzimmer fand er Emmy und Martha, und die erstere empfing ihn mit dem fröhlichen Zuruf:

„Das ist hübsch, Papachen, daß Du heimkommst, — hoffentlich zum Plaudern aufgelegt? Wo bist Du aber so lange gewesen? Denke nur, es ist zehn vorüber und der Thee wird kaum noch heiß sein.“

„Das Wohl des Staates, liebes Kind, und das Wohl der Nation gehen vor, — man muß auch daran denken. Im Januar schon ist ja Reichstagswahl und wir müssen dafür Sorge tragen, daß unser Kreis einen reichstreuen Mann ins Parlament schickt. Ich habe mit dem Herrn Landrat über diese Dinge intim geratschlagt — wichtige Besprechungen privater Natur, die sich der Erörterung in größeren Kreisen entziehen.“

„Nun, weißt Du, Papa, ich bin auch gar nicht neugierig auf diese Staatsgeheimnisse, wenn Du mir aber sonst etwas erzählen wolltest, wäre dies sehr hübsch von Dir, denn mit Martha ist heute gar nicht zu reden. Sie hat den ganzen Abend neben mir gesessen, wie der Genius des Schweigens, und wenn ich eine Frage an sie richtete, bekam ich entweder gar keine oder eine falsche Antwort.“

„Aber, Emmy, das kann doch gar nicht sein!“ sagte Martha mit einem leichten Erröten. „Ich war allerdings etwas müde und nicht zum Plaudern aufgelegt, aber ich würde es doch gehört haben, wenn Du mich etwas gefragt hättest; Du übertreibst da wohl wieder einmal.“

„Nein, nein, rede Dich nur nicht aus!“ erwiderte die Kleine eifrig, „es war gar nicht zum Aushalten mit Dir, so lieb ich Dich auch habe.“

Der Kommerzienrat fragte besorgt „Bist Du etwa unpäßlich, Martha? Du bist doch nicht am Ende bei diesem gräßlichen Schneesturm aus gewesen und hast Dich erkältet?“

„Gott behüte, Papa,“ warf Emmy ein, „unwohl ist sie durchaus nicht, sie ist auch gar nicht verstimmt und traurig, hat vielmehr mit einem ganz verklärten Gesicht dagesessen und zuweilen still vor sich hin gelächelt.“

„Nun, dann ist es ja gut!“ sagte Herr Reischach beruhigt; „Du könntest doch wissen, daß Martha zuweilen ihre stille, schweigsame Stunde hat.“

„Aber Emmy, was hast Du auch nur mit mir? Ich glaube wirklich nicht, daß es so war, wie Du sagst.“

„Nicht? Sieh einmal an! Und doch,“ fügte sie leise hinzu, „sahst Du so glücklich aus, als — nun ja, als hättest Du Herrn Hammer getroffen und als wäre er sehr liebenswürdig gegen Dich gewesen.“

„Du wirst unartig, Emmy,“ erwiderte Martha und suchte einen strafenden, vorwurfsvollen Ton anzunehmen, aber ihre Stimme zitterte

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_169.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)