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riet, zu versuchen, ob es nicht möglich sei, ihn in unser Lager herüberzuziehen, was bei seinen Anlagen und Kenntnissen wohl der Mühe wert war. Nun finde ich alle meine Vermutungen im vollsten Umfange bestätigt; es ist also jedenfalls nicht angänglich gewesen, den zweifellos begabten jungen Mann in unser Interesse zu ziehen und ihn nicht bloß unschädlich zu machen, sondern ihn sogar in geeigneter Stunde zu benutzen?“

„Erinnere mich sehr wohl, Herr Landrat; wie könnte ich auch einen Rat vergessen, den ein so einsichtiger und gewiegter Politiker wie Sie mir gab? Aber es hat sich nur eben mit Herrn Hammer nichts anfangen lassen, und die fatale Krawallgeschichte, die Sie ja im wesentlichen kennen, hat mich doch verdrossen, und ich habe seit der Zeit nur noch geschäftliche Berührungen mit ihm gehabt. Zuweilen kam mir wohl, wie ich schon erwähnte, andeutungsweise zu Ohren, daß er im Verdacht stehe, sich auf geheime Verbindungen mit den Arbeitern eingelassen zu haben, aber ich hielt das für müßiges Gerede, und ein Geschäftsmann ist ja ein vielgeplagter Mensch, der nicht Zeit hat, sich um solches Geschwätz zu bekümmern; er verlangt Thatsachen, wenn er sich mit Nichtgeschäftlichem befassen soll.“

„Was ihm kein Vernünftiger verübelt — gewiß nicht. Aber zu Ihrer Information teile ich Ihnen mit — ganz im Vertrauen, Herr Kommerzienrat, aber quasi amtlich —, daß Herr Hammer die sozialistische Bewegung hier am Ort und in der Umgegend dadurch unterstützt, ja, ihr eigentlich erst auf die Beine geholfen hat, daß er die Führer unter vier Augen ermunterte und in ihren Ansichten bestärkte, daß er ihnen allerlei Broschüren besorgte und zustellte, daß er ihnen nie seinen Rat versagte und höchst wahrscheinlich auch seine verteufelt gewandte und scharfe Feder nicht. Daß er mit seinen Sympathien zu ihnen steht, ist eine große Ermutigung für die Arbeiter gewesen; er ist allgemein bekannt, beliebt und geachtet, und es hat sich rasch herumgesprochen, daß er zu der radikalen Partei hält und daß die Führer nichts thun, ohne sich seines Einverständnisses vergewissert zu haben. Können Sie es den Leuten verdenken, daß sie an ihn glauben, daß er so manchem eine Bürgschaft für die Richtigkeit der neuen Lehre ist? Und diesen Einfluß werden Sie gewiß nicht unterschätzen. Das alles läßt sich ihm nicht Nachweisen, aber ich denke, Sie können die moralische Gewißheit, die ich hege, teilen; Sie wissen, daß ich nicht vorschnell mir eine Meinung bilde.“

„Ich bin so fest überzeugt, als hätten Sie mir die unwiderleglichsten Beweise geliefert; aber was läßt sich in dieser verdrießlichen Geschichte thun?“

„Nichts, Herr Kommerzienrat, als meinen ursprünglichen Rat beherzigen und darüber nachdenken, ob es nicht möglich ist, den Herrn Hammer zu uns herüberzuziehen. So oder so sollte die Sache sich doch machen lassen, wenn auch nicht heute und morgen, und jetzt, wo er bereits eine Autorität ist, dürfte seine Bekehrung aus einem radikalen, neuerungssüchtigen Saulus in einen praktischen, konservativen Paulus einen noch

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_167.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)