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bemerkbar zu machen und stumm hinterher schritt. Aber selbst auf der kurzen Strecke Wegs, die noch zurückzulegen war, setzten die beiden Hände das Miteinandervertrautwerden mit merkwürdigem Erfolg fort, und als man vor dem Hause des Kommerzienrats stand und Martha die erste Bewegung machte, ihren Arm aus dem Wolfgangs zu nehmen, da hatte dieser erst eine sehr innige Verschlingung aller Finger der beiden Hände zu lösen; vier der seinen hatten sich nach und nach zwischen je zwei Marthas gedrängt und nur für den kleinsten war nicht mehr Rat geworden; dafür war er freilich auch nicht mit gefangengenommen worden, als Marthas Hand sich unwillkürlich schloß und die vier Kühnen festhielt, die allerdings diese Gefangenschaft viel zu süß fanden, um sich aus derselben fortzuwünschen.

Und dann stand man sich ein paar Augenblicke länger gegenüber, als nötig gewesen wäre, und — hätte sich am liebsten gefragt: „Morgen?“ Aber es ging noch immer nicht mit dem Sprechen, und gerade, daß Martha ihm nicht dankte, machte Wolfgang sehr glücklich (er hätte natürlich auch jedes Dankeswort hinreißend gefunden). Sie gab ihm noch einmal die Hand; er drückte sie, als hätten sie einen Abschied auf ewig zu nehmen, und in dem Blick, den sie dabei, im Scheiden endlich Mut findend, tauschten, lag der innigste und beredteste Ausdruck, zu dem ihre scheue junge Liebe nur immer gelangen konnte; es lag soviel übermenschliche Glückseligkeit in ihm, daß man ihn fast hätte traurig nennen können — Glück und Trauer sind einander näher verwandt, als man glaubt.

Man mochte sich nicht „Hammer“ und „Hoyer“ nennen und „Herr“ und „Fräulein“ waren vollends gar abscheulich und unaussprechbar; man hatte nicht den Mut zu „Wolfgang“ und „Martha“, und so kam es unwillkürlich, daß beide — feine Diplomatie der Liebe! — nur: „Gute Nacht!“ sagten. Aber wie vertraut und innig es auch dafür klang, dieses schlichte „Gute Nacht!“ —

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Am selben Abend hatte in dem seit dem Kriege in „Gasthof zum preußischen Adler“ umgetauften „Hotel de Prusse“ eine Sitzung des nationalliberalen Komitees für die bevorstehende Reichstagswahl stattgefunden, dem sowohl der Kommerzienrat als der Landrat v. Wertowsky beiwohnten. Beide Herren beschlossen, zusammen zu soupieren, da sie noch verschiedenes zu besprechen hatten, und als dem saftigen Rehrücken volle Gerechtigkeit widerfahren war und man sich in der behaglichen Stimmung, die eine gute Mahlzeit zu erzeugen pflegt, eine Cigarre angezündet hatte, um noch in Ruhe und Gemütlichkeit eine verstaubte und mit Spinnengeweb behangene Flasche Burgunder aufzustechen, hob der Kommerzienrat sein Glas und sagte im Vorgefühl des Sieges: „Trinken wir darauf, daß am 10. Januar den Schwarzen die Lust

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_164.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)