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Worte zu sprechen, die fortan kein Mißverständnis zwischen ihnen hätten auftauchen und Macht gewinnen lassen, da war es zu spät, denn — schon sank Wolfgangs Rechte scheu und kaum fühlbar, leise und lose auf die ihre, um einen Moment da zu ruhen und dann, wie auf einem strafbaren Vergehen ertappt, rasch zurückgezogen zu werden. Es konnte ein Zufall gewesen sein, aber die bloße vertrauliche Berührung dieser Hand — wohin war der wildlederne Handschuh geraten, den sie sich erinnerte, anfänglich an ihr gesehen zu haben? — jagte Martha alles Blut zum Herzen; die Worte erstickten ihr in der Kehle, sie fühlte, wie sie errötete, und ihre Augen mieden die Wolfgangs, der das freilich nicht bemerkte, denn er befand sich in ganz derselben hilflosen Gemütsverfassung und fürchtete sich vor dem Blick jener ruhigen, ernsten, dunkeln Augen. Konnte dieser Blick nicht ein verwunderter, fragender, vorwurfsvoller sein, eine stumme Verwahrung gegen jede Wiederholung einer solchen Vertraulichkeit? Dennoch zwang es seine Hand wenige Minuten später wieder herab auf die kleine Linke im gefütterten Glacéhandschuh, die um keinen Preis von ihrer Stelle gewichen wäre, seitdem sie erfahren hatte, welchen angenehmen Gefahren sie hier ausgesetzt war, und diesmal fühlte Martha, daß es kein Zufall war und sein konnte, denn die Hand des jungen Mannes umfaßte, wenn auch kaum fühlbar, die ihre und — wurde nicht wieder zurückgezogen. Martha zitterte davor, diese Hand durch eine Bewegung der ihrigen zu verscheuchen, sie würde so traurig gewesen sein, wenn sie absichtslos eine neue Flucht herbeigeführt hätte, und am liebsten hätte sie sich herabgebeugt und ihre Lippen auf diese schüchterne, zaghafte Hand gepreßt. Zwischen dem, was wir in solchen Momenten thun möchten und wirklich thun, besteht aber ein merkwürdiger Unterschied; als die liebe Hand die von ihr umfaßte leise drückte, wagte sie nicht, diesen Druck zurückzugeben ; sie wagte nicht, Wolfgang anzusehen, so sehr sie sich danach sehnte, in seinen Augen die stumme Bestätigung der Vermutung zu lesen, die einen Schauer von Glück über sie ausgoß, und sprechen hätte sie vollends nicht gekonnt; es pflegt uns in derartigen thöricht-süßen Momenten absolut nichts halbwegs Vernünftiges einzufallen, und auf die Worte, die uns zur Wiedergabe unserer Empfindungen zur Verfügung stehen, blicken wir nun vollends gar mit souveräner, unauslöschlicher Verachtung herab. Höchstes und reinstes Glück ist immer stumm, und dieses jeden Laut fürchtende, fast andächtige Verstummen kam über beide. Als vollends Wolfgangs kleiner Finger sich den Marthas suchte und sich um ihn legte, hatten sie das Gefühl, als müßten sie noch stundenlang so fortgehen, gleichgültig wohin, und Proud konnte froh sein, daß Wolfgang, der ja wußte, daß Martha daheim nicht vermißt sein wollte, nicht einmal einen Umweg zu machen wagte, — hätte er sich einfallen lassen, ihr eine Waldpartie vorzuschlagen, sie hätte willenlos genickt und man wäre wohl noch bis in die sinkende Nacht durch das Gestöber gewandert, ohne an den armen, treuen, triefenden Proud zu denken, den man ganz und gar vergessen zu haben schien und der soviel instinktive Diskretion besaß, sich nicht

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_163.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)